Spielen und Schreiben

Im Zuge des NaNoWriMo, des National Novel Writing Month, lässt sich immer wieder eine gewisse Verbissenheit konstatieren, ein Kampf um die Worte, ein heldenhaftes Streiten um den Sieg. Dem möchte ich eine Kraft entgegenhalten, die zumindest ebenso wichtig  für unsere Kreativität ist wie reines Durchhaltevermögen: der spielerische Impuls. Auf ideale Weise verdeutlich wird das für mich durch Aufnahmen wie diese:

Ist das nicht großartig? Macht das nicht alle Diskussionen des 19. Jahrhunderts, die sich mit der Frage, was Menschen von Tieren unterscheide (unter anderem auch das Spielen), hinfällig? Am meisten berührte mich an diesem kleinen Film dreierlei:
1. Die ausgefeilte Technik: offensichtlich spielt der Delfin nicht zum ersten Mal mit Ringen aus Luft – er hat geübt!
2. Die Abstufungen im Spiel: Erst erschafft das Tier einen großen Ring, drückt ihn per Wasserverdrängung vorwärts und stuppst ihn dann mit der Nase an, so dass ein kleinerer Ring entsteht. Genial.
3. Der Spaß dabei: In einer Sequenz „frisst“ der Delfin den Ring auf – ich könnte schwören, dass er sich dabei köstlich amüsiert.

Aber hat das wirklich etwas mit schreiben zu tun? Ich denke ja. Wie beginnen wir mit einem Text? Oft genug mit einem Brainstorming-Verfahren wie Mindmap oder Clustering – das ist „Spiel mit Worten“ in Reinkultur. Als literarische Form weiterentwickelt, nutzten Dadaisten von Hans Arp bis André Breton das Automatische Schreiben – ein rein spielerisches Draufloskritzeln, das die Künstler natürlich mit dem Ausbruch des Unterbewussten in den Text hinein erklärten. Für mich aber ist Écriture automatique nichts anderes als: ein Spiel.
Und auch wenn wir eine Erzählung oder einen Roman entwerfen, „spielen“ wir: Der Protagonist wird mal in diese kritische Situation gesteckt, mal in jene; wir testen aus, ob er Angst vor Schlangen hat (wie Indiana Jones) oder vor schwindelmachender Höhe (wie in Hitchchocks Vertigo). Wir spielen. Aber – und das zeigt der Delfin ebenso – auch das Spielen will geübt sein. Das wissen Pianisten natürlich ohnehin, für SchriftstellerInnen gilt das ebenso: Spiele haben Regeln. Und Spiele erfordern Kennen und Können. Also üben wir.

Nun ein Beispiel eines spielenden Künstlers:

Auch dieser Ausschnitt aus Paul Haesaerts Film Ein Besuch bei Picasso aus dem Jahr 1950 zeigt: Pablo Picasso spielt. Das sieht man etwa daran, wie er einzelne Blütenblätter mit dem Finger „auswischt“, wie er grimmig durch die Glasplatte zur Kamera blickt oder die großartige Frauenfigur des letzten Bildes von unten nach oben entwickelt – anfangs denkt man: Da malt er wieder Blumen. Aber natürlich gilt auch für Picasso: Er kann nur so virtuos auf der Glasleinwand spielen, weil er ähnliche Motive hunderte Male „geübt“ hat.

Jedenfalls: Vergesst nie die Macht und die Kreativität des Spielerischen, weder im Leben noch im NaNoWriMo. Übertreiben sollte man es aber auch nicht, sonst geht es einem so wie Bill Mitchell. Von ihm sind die Worte überliefert: “Jetzt muß ich dieses verdammte Spiel nie wieder anrühren.” Das sagte er, als er es 19 Jahre nach der Erfindung des Spiels als erster Mensch der Welt geschafft hatte, alle 256 Level von Pac-Man durchzuspielen.

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9 Gedanken zu “Spielen und Schreiben

  1. Oh, das sagst Du schön und wahr. In meinem Kopf gehen die Figuren umher und klopfen an Türen, hinter denen etwas steht, was ich entwerfe. Seltsam, dass ich mir dessen bewusst werden muss, bisher dachte ich immer, ich selbst wäre der Spielball meiner Protagonisten 😉
    Ja, der NaNo. Ich bin echt überrascht und auch ein wenig erschlagen, welche mächtigen Kreise dieses Event zieht…
    jedenfalls werde ich mir Dein Spiel-Apell immer wieder ins Hirn rufen, Danke dafür!
    Liebe Grüße, Julia

    Gefällt 2 Personen

    1. Bitte, bitte! Ja, die verschiedenen Ebenen von Bewusstwerdung und Wahrnehmung des kreativen Prozesses sind schon spannend … Deine Figuren machen schon immer mal, was sie wollen, aber ein Stück Oberbefehlsgewalt solltest Du doch haben 🙂
      Ganz liebe Grüße zurück!

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