Warum wir das Zitieren wieder lernen müssen!

Eines der bedenklichen Phänomene unserer Internetzeit betrifft angebliche Zitate, die im weltweiten Netz so lange eingestellt, kolportiert, kopiert und verbreitet werden, bis sie als selbstverständlich und wahrhaftig hingenommen werden. In meiner maßlosen Naivität ging auch ich lange Zeit davon aus, dass Sprüche, die ich auf genug unterschiedlichen Seiten las, auch richtig zitiert sein mussten. Bis ich mich bei folgendem Lieblings“zitat“ von Johann Wolfgang Goethe einmal auf die Suche machte:

Erfolg hat 3 Buchstaben
Quelle: Google-Bildabfrage zum Zitat „Erfolg hat drei Buchstaben: Tun!“

Lange Zeit hing ein Zettel mit diesem schönen Goethe-Wort am Schirm meiner Schreibtischlampe, bis ich irgendwann dachte: Nach Goethe klingt das eigentlich nicht. Und tatsächlich ergab meine Recherche: Der Weimarer Meister hat viele kluge Sprüche vom Stapel gelassen, diesen aber mitnichten. Der goethsche Sprachklang ist eben doch ein anderer – etwa dieser: „Wer freudig tut und sich des Getanen freut, ist glücklich“ (aus: „Maximen und Reflexionen, Verlag der Goethe-Gesellschaft, Weimar 1907). Auch in „Wilhelm Meisters Wanderjahren“ von 1829 findet sich ein Zitat, das mit Handeln und Erfolg zu „tun“ hat: „Wie kann man sich selbst kennenlernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche, deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an dir ist.“
Aber jenes kurz und knackige, scheinbar einem modernen Motivationsbuch entsprungene „Erfolg hat drei Buchstaben: Tun!“ – das hat er nie geschrieben.

Und dieses Beispiel ist nur eines von vielen. In meinem Blogeintrag über die Grundkompetenzen des Schreibens „zitierte“ ich etwa Hemingways beliebten Spruch: „Schreiben ist einfach: Man setzt sich an die Schreibmaschine und öffnet eine Ader.“ Dieses markige Zitat wird Hemingway erstmals 1973 zugeschrieben – da war der Meister der Short-Story aber bereits seit 13 Jahren tot. Auf der hoch zu lobenden Website www.quoteinvestigator.com lässt sich Ursprung und Entwicklung nicht nur dieses Zitates wunderbar nachvollziehen.

Ich fürchte, dass zumindest die Hälfte aller sogenannten Zitate, die im Internet durchs elektronische All fliegen, falsch sind.

Und ich finde das erschreckend.

Natürlich gab es solche falschen Zuweisungen schon früher. Luther ist ein gutes Beispiel: Weder sein beliebtes „Wenn ich wüsste, dass morgen der jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“ noch der für alle tischmanierenfreie männliche Wesen als Argumentation dienende Spruch „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?“ findet sich in irgendeiner Schrift Martin Luthers.

Solche falschen Zitate gab es also schon immer. Nichts Neues hinsichtlich der Qualität. Wohl aber in Bezug auf die Quantität und die Bedenkenlosigkeit, mit der solche Zitate übernommen werden. Ich dachte früher wenigstens noch zu wissen, aus welchem Buch das Luthersche Rülpszitat stammt: aus seinen Tischreden. War zwar falsch, kam mir aber stimmig vor.

Heute machen wir uns nicht einmal mehr solche Gedanken, sondern kopieren munter drauflos und verbreiten Unwahrheiten.

Warum ich das erschreckend finde? Um es überspitzt zu sagen: Was mit unreflektiertem „Teilen“ und Verteilen falscher Zitate beginnt, hört mit bewusst manipulativen Fake-News auf. Wir sollten wohl dringend unseren Umgang mit Fakten und Wahrheit schärfen – auf allen Ebenen.

Und was das Eingangszitat angeht, so könnte vielleicht folgender Spruch die ursprüngliche Quelle dafür sein: „Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun.“ Er ist nicht ganz so griffig, nicht derart modern, aber trefflich genug! Und auch er stammt von einer Autorität, wenn auch einer weiblichen (was ja vielleicht schon Grund genug war, daraus einen „Goethe“ zu machen). Gefunden habe ich diesen Satz auf Seite 10 meines kleinen gelben Reclam-Büchleins „Aphorismen“ (Stuttgart 2002). Hier auf dem Foto sitzt die Urheberin mittig am Tisch und spielt Karten mit Betty Paoli und Ida von Fleischl:

Betty_Paoli,_Marie_von_Ebner-Eschenbach,_Ida_von_Fleischl-Marxow

Ich meine natürlich Marie von Ebner-Eschenbach, Grand-Dame unter den Aphoristikern und nicht nur laut Wikipedia „… eine der bedeutendsten deutschsprachigen Erzählerinnen des 19. Jahrhunderts.“

Also: Ehre, wem Ehre gebührt. Lasst uns das Zitieren wieder lernen.

Wie seht Ihr das? Kennt jemand etwas Ähnliches wie den großartigen „Quoteinvestigator“ für deutschsprachige Zitate? Und kennt vielleicht doch jemand „die“ Quelle für das erfolgreiche Tun-Goethe-Zitat?

Bildquellen:
– Google-Bildabfrage zum Zitat „Erfolg hat drei Buchstaben: Tun!“
– Marie von Ebner-Eschenbach: Helene Bettelheim-Gabillon: Betty Paoli. Ein Gedenkblatt zu ihrem hundertsten Geburtstag. In: Westermanns Monatshefte Band 117.1915, Seite 666-674, Foto auf Seite 672., gemeinfrei, Link

23 Gedanken zu “Warum wir das Zitieren wieder lernen müssen!

  1. oh, was für ein guter und wichtiger beitrag!
    unbedingt müssen wir, gerade wir als schreibende, aber nicht nur wir! das bewusstsein schärfen und bei zitaten vor allem genau recherchieren. ich stimme dir sowas von zu! danke!
    liebe grüße und einen guten wochenstart,
    diana

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  2. Ich habe irgendwann die gleiche Beobachtung wie du gemacht: Weiß man nicht, von wem ein Zitat ist, ist es von Goethe 😦 Wahlweise auch von Buddha oder Mark Twain. Einstein ist auch sehr beliebt. Und Leute, denen diese Problematik völlig am Allerwertesten vorbeigeht, denen ist meiner Meinung nach nicht zu helfen. Ich rege mich darüber richtig auf.
    Ich kann dir leider nicht helfen, was einen deutschen Quoteinvestigator angeht (eine tolle Seite, ja), so was suche ich auch. (Sag Bescheid, falls du so was findest, ja?) Was ganz gut als Quelle ist, ist Wikiquote, die sind verlässlich, weil sie angeben, woraus sie zitieren, was ich dir ferner empfehlen kann, ist dieser Blog: http://juttas-zitateblog.blogspot.de/ der aber anscheinend leider nicht mehr fortgeführt wird.
    Liebe Grüße
    Christiane

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    1. Liebe Christiane, vielen Dank für Deinen Input! Und stimmt, Buddha hat auch wirklich viiiiiiiel gesagt 🙂 Wikiquote nutze ich auch gerne, nur der Umfang der Zitate dort ist noch zu klein. Die „Zitatenjägerin“ kannte ich noch nicht – 1000 Dank für den Link (und schade, dass der letzte Eintrag dort von 2013 ist). Mal schauen, ob ich noch ähnliche Seiten finden kann…
      Liebe Grüße zurück!

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  3. Ganz nützlich in dieser Hinsicht finde ich nach wie vor den Duden Nr. 12. So oder so meine ich, dass man, wenn man beim Zitieren seriös bleiben will, das ursprüngliche Werk konsultieren sollte. Da kann das Internet eine große Hilfe sein, weil ja viele Klassiker online frei verfügbar sind. Erstens kann man ja auch zuverlässigen Quellen nie zu 100% trauen. Und zweitens scheint es mir auch unbedingt wichtig, dass man den Kontext kennt, aus dem das Zitat stammt. Wird ein Zitat zwar korrekt wiedergegeben aber in eine „wesensfremde Umgebung“ verpflanzt, ist das ja eigentlich genau so schindluderig wie ein falsch wiedergegebenes Zitat.

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    1. 100 % Zustimmung: Der Königsweg ist einfach der, das betreffende Buch in die Hand zu nehmen und direkt zu zitieren! Ganz herzlichen Dank für den Duden-Hinweis – obwohl ich viele Dudens auf dem Schreibtisch habe, fehlte bis jetzt „Zitate und Aussprüche“. Das wird sich jetzt ändern! Merci und liebe Grüße!

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      1. Ja, diese Sorgfalt schuldet man genau genommen sowohl den Zitierten als auch dem Lesepublikum. 🙂
        Dieser Duden-Band ist wirklich sehr informativ und auch die Bandbreite ist nicht von schlechten Eltern. Und er lädt auch ganz einfach zum Schmökern und Stöbern ein. 🙂

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  4. Ohja, da stimme ich absolut zu. Ehrlich gesagt zitiere ich auch nicht gerne (oder zitiere mich einfach selbst :-D). Allzu schnell sind solche Worte anderer falsch verstanden oder in falschen Zusammenhang gesetzt.
    Die generelle Tendenz zu verfälschten oder schlecht recherchierten „Fakten“ sehe ich auch mit Bedenken. Ich gestehe auch selbst schon Meinungen vertreten zu haben, auf Grundlage von Fehlinformationen aus dem Internet. Da habe ich dann nicht gut genug recherchiert oder hingeschaut. Die Fähigkeit (oder Bereitschaft), so einen Fehler dann auch zu erkennen und einzugestehen dürfte gerne wieder verbreiteter sein. Allzu schnell steigert mensch sich sonst in auf Halbwissen begründetes Denken.
    Die Quelle für das vermeintlich Goethe-Zitat kenne ich auch nicht. Genaugenommen kannte ich das Zitat selbst bisher ebenfalls nicht.^^
    Alles gute,
    Jo 🙂

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    1. Das wäre natürlich DIE Lösung: Sich einfach nur selbst zitieren – das gefällt mir 🙂 Und ja, es ist schwierig, aber verdammt wichtig, die eigenen Fehler einzugestehen – da bin ich voll bei Dir. Aber was das Halbwissen angeht: Das sehe ich so negativ nicht, bin da mehr Anhänger von Peter Bichsel, der das ein Stück weit propagierte. Nach dem Motto: Lieber halb als gar nicht. Lieber halb richtig als komplett falsch 🙂 Liebe Grüße!

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    1. Haha! Tausend Dank für den Link – das ist ja mal ein fantastisches Zitat (noch besser hätte es mir nur gefallen, wenn’s von Goethe oder Buddha, will sagen noch internetweiter entfernt gewesen wäre) 🙂 Merci und liebe Grüße!

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  5. Schon lange stelle ich fest, wir sind ein Volk der Nachplapperer! Und mit dem Internet ist es nur schlimmer geworden! Übrigens finde ich es beschämend und peinlich, dass sich kaum wer die Mühe macht, Sachverhalte mit eigenen Worten zu beschreiben. Es wird einfach gegoogelt und eine Grafik aus dem Internet gefischt, mit dem passenden Spruch und am besten mit einem Kätzchenmotiv und dann ab in den Facebook-Account, wo es dann seine „heavy Rotation“ erlebt, also geteilt und kopiert wird bis zum geht nicht mehr. Keine Eigenleistung. Null. Zero! Beispiele für Selbstläufer, also Zitate, die in aller Munde sind: In der Fernsehsehrie „Derrick“ – „Harry, fahr den Wagen vor!“ oder Raumschiff Enterprise (Original Folgen ab 1966)“ – „Beam Me Up Scotty!“. Kennt jeder, oder? Nur wurde das nie in den Fernsehfolgen verwendet! Horst Tappert und William Shatner haben das nie in ihren Rollen ausgesprochen – wenn man Wikipedia und Co. glauben mag. Und das ist eben auch ein Grundproblem des richtigen Zitierens – es macht Arbeit.Die vielen Doktorarbeiten die einer Reihe bekannter Politiker aberkannt wurden, beinhalteten falsches Zitieren. D. h. in der Arbeit wurden Zitate nicht korrekt kenntlich gemacht, so dass man das geistige Eigentum anderer für das des Doktoranden halten musste. Was uns das angeht? Wie hier Simonsegur schreibt, gilt es eine Kultur zu schützen – gegen Fake-News, gegen permanente Manipulation und gegen geistige Verarmung!

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    1. Die beiden von Dir genannten (Derrick und Star Trek) sind auch schöne Beispiele, meinen herzlichen Dank! Wobei sie – immerhin – nur Verschleifungen und Verschmelzungen vieler Einzelszenen sind und nicht (absichtlich oder unabsichtliche) falsche Zuweisungen. Und ganz ehrlich: Auch ich hätte lange geschworen, „Beam Me Up, Scotty“ oft genug von Kirk schreien gehört zu haben 🙂
      Ändert aber nichts an dem, was Du schreibst: Faulheit und Selbstgefälligkeit sind zwei der wichtigsten Gründe, warum wir’s mit der Wahrheit nicht so genau nehmen …
      Liebe Grüße!

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  6. Oh ja, wie auch schon Random Randomsen weiter oben kommentierte – ein großes Problem ist ebenso das Zitieren von Fragmenten, die ihres Kontextes und somit oft auch ihrer ursprünglichen Aussage beraubt sind. Als hätte man ein Foto von einer großen Gruppe lachender Menschen mit einem traurigen Menschen mittendrin. Und man würde nur das traurige Gesicht zeigen.

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    1. Schön, Dein Bild mit den Fotogesichtern – meinen herzlichen Dank. Und auch für den abermaligen Hinweis auf den Kontext bin ich Dir dankbar – der ist überhaupt nicht zu unterschätzen!
      Mit Dank und Grüßen!

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  7. Ihr Beitrag ist klasse!
    Statt eigener Gedanken und Formulieren, einfach einen knackigen Spruch in den Raum schmettern. Parolen und hohle Phrasen haben Konjunktur.
    Nachplappern gabs zwar im bürgerlichen Leben von Anbeginn an, damals warens aber noch Konversationslexika. Die wurden ursprünglich eigens dafür erfunden, dass man „mitreden“ konnte.

    Ihr Beitrag ist sehr anregend. Man könnte ihn als eine erspriessliche Gesprächsgrundlage hernehmen, um sich auszutauschen über den Sinn und Zweck des Zitierens im Lauf der beiden letzten Jahrhunderte.

    Schöne Grüsse aus dem Bembelland,
    Herr Ärmel

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    1. Lieber Herr Ärmel,
      vielen Dank für das Lob – als großer Fan Ihrer „Immer-horsche-und-gugge“-Welt freue ich mich umso mehr 🙂
      Und ja: Solch eine kleine „Geschichte des Zitierens“, das wäre schon etwas! Allein in der Belletristik, als es in den 90ern Mode wurde, nicht nur vor jedem Roman, sondern vor jedem einzelnen Kapitel desselben ein Zitat zu setzen. Sehr spannende Idee – herzlichen Dank!

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