Muss politische Literatur immer schlechte Literatur sein?

Direkter Anlass für diesen Beitrag ist natürlich jener Wahlsonntag im September 2017, als die braune Soße auch in den Bundestag schwappte. Indirekt aber hadere ich schon lange mit dieser Gretchenfrage nach Engagement und politischer Aktivität: Denn stehen nicht gerade wir AutorInnen in der Pflicht, unsere Liebe zur Sprache auf politischer Ebene einzusetzen?

Ich habe keine Ahnung. Und wurde leider viel zu oft abgeschreckt. Denn dezidiert politische Literatur ist fast immer, so meine These, eine schlechte Literatur.

Ob und warum das so ist – dazu hier ein paar Beispiele und Überlegungen.

Bald wird das Frühjahr, dann der Sommer
mit all den Krisen pleite sein, –
glaubt man dem Kalender, im Septmeber
beginnt der Herbst, das Stimmenzählen;
ich rat Euch, Es-Pe-De zu wählen.

So endet beispielsweise das Gedicht „Gesamtdeutscher März“ von Günter Grass, Ende der 60er Jahre erschienen und von Reich-Ranicki damals als „ein wenig pubertär“ kritisiert. 2012 sorgte Grass in der Süddeutschen Zeitung bekanntlich mit einem weiteren, ausdrücklich politischen Gedicht für Aufschreie. In dem Text „Was gesagt werden muss“ heißt es etwa:

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Das ist eine Meinung – und kein Gedicht. Wenn’s doch eins sein will, dann eben ein schlechtes. Da Günter Grass aber eher Prosaautor als genialer Lyriker ist, nun ein anderes Beispiel: Bertolt Brecht. Unglaubliche Gedichte, unglaubliche Sprachkunst. Und dann schreibt er ein Stück Lyrik mit dem Titel „An die Studenten der Arbeiter- und Bauernfakultät“, das folgendermaßen endet:

Vergeßt nicht: mancher euresgleichen stritt
Daß ihr hier sitzen könnt und nicht mehr sie.
Und nun vergrabt euch nicht und kämpfet mit
Und lernt das Lernen und verlernt es nie!

Sicherlich pädagogisch korrekt, aber gute Literatur? Wie viel stärker wirkt da Brechts eindrückliches „An die Nachgeborenen“ mit seinen Zeilen wie Ohrfeigen: „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“ Dieses lyrische „Ich“ macht für mich den Unterschied aus: Das eine ist pädagogische Besserwisserei und politische Agitation, das andere ein gequältes Ich mit zwar auch politischem, aber eben subjektiv individuellem Anspruch.

Okay, okay, das ist eben Lyrik. Wie sieht es bei Prosa aus? Ziemlich kompliziert, wie ich finde. Denn wann ist ein Roman eigentlich ein dezidiert politischer Roman? Kleists „Michael Kohlhaas“, Falladas „Kleiner Mann, was nun“ und Döblins „Berlin Alexanderplatz“, Heinrich Manns „Untertan“, Anna Seghers „Das dritte Kreuz“ oder Tellkamps „Der Turm“ – all das sind sicherlich politische Bücher. Aber eben nur „auch“. Sozusagen nebenher. Da ein guter Roman die ganze Welt abschildert, finden sich dort wie selbstverständlich auch politische Ideen und Ereignisse. Zu „guten“ Romanen macht sie aber etwas anderes: Neben der Sprache und der Charakterzeichnung erzählen sie eine Geschichte, evozieren Gefühle, Spannung und Empathie. Prosatexte, die ausdrücklich politisieren wollen, landen dagegen höchstens im Fegefeuer – im literarischen Olymp sicherlich nicht.

Und Essays? Da fällt mir prompt und als erstes jener berühmt-berüchtigte Text über Hitler ein, in dem es etwa heißt:

„Der Bursche ist eine Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden. Wie die Umstände es fügen, daß das unergründliche Ressentiment, die tief schwärende Rachsucht des Untauglichen, Unmöglichen, zehnfach Gescheiterten, des extrem faulen, zu keiner Arbeit fähigen Dauer-Asylisten und abgewiesenen Viertelskünstlers, des ganz und gar Schlechtweggekommenen sich mit den (viel weniger berechtigten) Minderwertigkeitsgefühlen eines geschlagenen Volkes verbindet, welches mit seiner Niederlage das Rechte nicht anzufangen weiß und nur auf die Wiederherstellung seiner „Ehre“ sinnt …“

Thomas Mann in seinem Aufsatz „Bruder Hitler“ (ja, der heißt wirklich so)! Ich habe das Gefühl, dass der sonst so sprachmächtige Thomas Mann in diesem Text über seine eigenen Bandwurmsätze stolpert, die ich sonst liebe. Hier zeigen sie mir aber nur, wie sich der Autor windet, an der „politischen“ Frage entlang und um sie herum, wie er sie umschlingen will und doch nur abrutscht. Scheitert.

Selbst das nächste, mich sprachlich mehr überzeugende Beispiel, dessen Überschrift „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ sprichwörtlich wurde, ist zwar ein beeindruckender Text, aber keine „gute“ Literatur:

Landbote_Wiki
Quelle: Wikipedia

 

Der „Hessische Landbote, Georg Büchners 1834 verfasste, als Flugblatt in Umlauf gebrachte Brandrede – sicher ein sprachmächtiger und mit seinen Anspielungen auf die Bibel ein literarische gewiefter Text. Ein wichtiger, ein humaner Text.

Aber, und da bin ich wieder am Anfang, auch wirklich gute Literatur?

Ihr seht, ich bin zerrissen, was politische Literatur angeht. Wie denkt Ihr darüber? Kann Literatur, kann Kunst generell, wenn sie dezidiert politisch sein will, auch gute Kunst sein? Wer sind für Euch wichtige politische Autorinnen und Autoren, welcher politische Roman konnte Euch überzeugen?

Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen auf die von Anna Schmidt initiierte Blogaktion „Schreiben gegen Rechts“.

Bildquelle: Wikimedia Commons, Link

32 Gedanken zu “Muss politische Literatur immer schlechte Literatur sein?

  1. Ich stelle mir täglich dieselbe Frage. Ich glaube, dass es letztendlich ganz wichtig und im wahrsten Sinne des Wortes politisch ist, auszusprechen, was dazu drängt, ausgesprochen zu werden, auch wenn man Angst davor haben mag, es auszusprechen. Ich persönlich verstehe nicht allzu viel von „Politik“, ich nehme allerdings die Welt um mich herum wahr und auch die Veränderung. Ich habe auch begriffen, dass niemand wirklich belehrt werden will, wenn er nicht explizit danach fragt. D.h., diese Menschen sind dann „unbelehrbar“. Da kann eine andere Gruppe Mensch so „Recht haben“ wie sie will, sie wird keine Überzeugungsarbeit leisten können, weil die Argumente am Unwillen abprallen. Im Grunde rennt die politische Literatur dort Türen ein, wo sie eh schon offen stehen. Bei den anderen schlägt sie sich praktisch den Schädel ein. Dann kann dieser Geist allerdings auch nicht mehr klar bleiben, mit all dem Blut, das ihm dann über die Augen rinnt, nicht wahr?
    Ich glaube, wichtig ist, dass klar bleibt, wer man ist und wo man steht. Wofür man sich als Individuum entschieden hat. Und danach dann auch entsprechend handelt, lebt, auch wenn es unbequem wird, oder beginnt, wehzutun. Ich hoffe nicht, dass das wieder der Fall sein muss. Und es gibt Bereiche, in denen es völlig egal ist, ob das Gedicht hoch literarisch ist oder nicht, solange es der authentische Ausdruck eines liebevollen Geistes ist.
    Es ist die ewige Frage nach der Balance: was ist wichtiger, die Form oder der Inhalt einer Aussage?
    Und was, was genau macht ein scheinbar vollkommenes Gedicht wirklich aus, wann ist diese wunderbare Einheit von Form und Gehalt gegeben, wer schafft das und wie? Das bleibt wohl irgendwo ein Geheimnis, und ganz wenigen Individuen vorbehalten, zeitlos zu sprechen?
    Es ist im höchsten Grade politisch, authentisch zu bleiben, jederzeit, auch in Zeiten der Gefahr.

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    1. Meinen herzlichen Dank für Deinen Kommentar! Deine Gedanken zur „Belehrung“ sind trefflich, ebenso wie das Bild einer politischen Literatur, die entweder offene Türen einrennt oder sich sinnlos eine blutige Papiernase holt. Wirklich sehr schön! Und auch Deine Gedanken zur Authentizität finde ich sehr spannend. Vielleicht macht ja gerade das so viele politische Kunst zu einer schlechten: Weil die KünstlerInnen, wenn sie agitieren oder nur eine politische Aussage machen, gerade schon nicht mehr authentisch sind …
      Nochmals: meinen Dank für diese Deine Anregungen!

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  2. Also ich würde mal sagen, da gibt es noch eine ganze Menge dazwischen, wo „Form und Gehalt“ in diesem Sinne zusammengehen. Wie willst du politische Literatur definieren? Oben Genanntes ist schon breit gefächert, „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers und Kleists „Michael Kohlhaas“ würde ich auch dazuzählen und das ist gute Literatur. Was ist mit George Orwells „1984“, Boualem Sansals „2084“ und Margaret Atwoods „Der Report der Magd“? Diese Dystopien zählen für mich auch zur guten politischen Literatur. 🙂

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    1. Ja, die Definition ist eben – wie stets – das Problem. „Politische“ Literatur ist für mich dezidiert gewollt politische Literatur. Wenn Du das wunderbare Beispiel von Orwell nimmst – meinen Dank für die Erinnerung daran – fällt mir dabei seine „Farm der Tiere“ ein. Vielleicht passt das: „Animal Farm“ ist für mich gewollt politisch, eine Fabel eben, und dementsprechend fand ich sie nie besonders. „1984“ dagegen packte mich weniger aufgrund der Warnung vor einem Überwachungsstaat als vielmehr das persönliche Leiden und Scheitern des Protagonisten. Recht hast Du auf jeden Fall: 1984 ist wirklich gute, bewusst politische Literatur! 2084 kenne ich nicht – danke für den Tipp. Übrigens hochinteressant, dass das Genre, wo politische Literatur funktioniert, offenbar die Science Fiction ist! Bei meinen genannten Beispielen bin ich mir nicht so sicher: Michael Kohlhaas lässt sich auch als Auflehnung gegen Moral lesen und weniger politisch.
      Ganz herzlichen Dank für Deine Impulse – merci!!

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  3. Gute Frage. Ich meine, dass es Gabriel Garcia Marquez mit „hundert Jahren Einsamkeit“ bestens gelingt. Nicht schlecht fand ich auch „Giacondas Bellis „Bewohnte Frau“, wenn auch ich den Altmeister Marquez bevorzuge, Sein „General in sein seinem Labyrinth“ liegt gerade bei mir auf dem Nachttisch…
    was ich an Marquez so liebe, ist, dass er das Zerissene mit einstrickt ins Erzählen, ebenso wie das Irrationale und Abgründige… – hm. Und was ist mit Rafik Shami?

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    1. Spannend: Die Romane von Marquez hätte ich jetzt nie als ausdrücklich politisch bezeichnet. Für mich sind das Familienchroniken, Zeitgeschichte und Drama. Shami, stimmt, hm, das muss ich mir noch überlegen 🙂
      Dabei fällt mir aber Salman Rushdie ein, den ich natürlich als explizites Beispiel hätte nennen können. Obwohl, da geht’s ja eher um Religion als um Politik …
      Ich sage Dir meinen Dank!

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      1. Ja, das hast Du recht. Das ist bei Ota Philipp’s Buch „Das Café auf der Strasse zum Friedhof“ bestimmt auch so. Es ist eine Familienchronik, Vielleicht, stelle ich gerade fest, sind für mich die wichtigsten politische Orte die Familie und deren Drumrum.
        🙂
        Meine politische BIldung wurde jedenfalls durch „100 Jahren Einsamkeit“ bereichert.
        Das Kategorisieren fiel mir schon immer schwer. Danke für Deine Anregung, nun hab ich wieder was zum Grübeln 😉
        ps.: Rushdie hab ich noch nicht gelesen, (wundert es mich gerade…)
        Schönen Sonntag wünsch ich Dir.

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      2. Ich hab‘ für die Anregungen zu danken 🙂 Und wie gesagt: Jeder gute Roman umfasst auch Politik. Ohne dass der Text gewollt polititsch sein muss. Falls Du doch mal zum Rushdie greifen wirst, wünsche ich viel Lesefreude. Seine „Satanischen Verse“ sind ja das schreckliche Paradebeispiel dafür, wie nicht dezidiert polititsche Literatur zu einem grausamen Politikum wird.
        Auch Dir noch einen schön-sonnigen Herbstsonntag!

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  4. Ich denke, dass politische Literatur immer dann schlecht wird, wenn sie ideologisiert und der Agitation dient. Thomas Mann hat in vielen seiner Bücher die gesellschaftlichen und politischen Zustände seiner Zeit treffend beschrieben (wie z.B. beim Zauberberg) aber als dezidierter politischer Autor hat er es nicht weit gebracht. Von Brecht gibt es noch andere Agitprop-Stücke, die eher brandgefährlich sind (z.B. die Maßnahme) und trotzdem war er abseits der politischen Agitation ein hervorragender Beobachter seiner Zeit. Mir fällt da noch J.P. Sartre ein, der ja nicht umsonst Schreiben und politisches Engagement als Verbindung betrachtet und gelebt hat und sich trotzdem einige Jahre als Maoist betätigt hat, Stalin abgefeiert hat und völlig daneben lag. Er war dann nicht als engagierter Philosoph unterwegs, sondern als Ideologe. Es ist wichtig, dass wir uns im Moment als Autoren auf die Notwendigkeit des Engagements besinnen, aber d.h. nicht zu ideologisieren und einen straffen politischen Kampf zu führen, sondern eher den gesellschaftlichen Diskurs suchen und vertiefen, damit gerade Ideologen keine Chance zur Entfaltung bekommen.

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    1. Auch Dir meinen ausdrücklichen Dank! Ich stimme hundertprotzentig zu: Sobald ein Text agitieren will, verliert er seine von der springerin weiter oben eingeforderten Authentizität. Meine Frage bleibt nur: Gibt es tatsächlich nur so wenige bewusst ideologisierende Texte? Das müsste ja nichts Schlechtes sein …
      Sartre ist ein guter Hinweis, den muss ich mir mal wieder vornehmen – ewig nicht mehr gelesen … Obwohl er sich, wenn ich mich recht erinnere, ja eher in seinen philosophischen Fragen politisch äußert als in seiner Literatur?
      Viele Grüße!

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      1. Sartre hat ganz klar alle Sparten seines Schaffens vermischt. Seine Prosa und seine Theaterstücke sind deutlich geprägt von seiner Philosophie und sollen sie verdeutlichen. Zu seiner Philosophie gehört die Grundhaltung das man als Mensch immer politisch handelt und daher sind alle seine Texte durchaus politisch zu verstehen. In diesem Zusammenhang sollte man sich auf jeden Fall noch einige andere Autoren dieser Epoche anschauen: Camus, Althusser oder Focault, um nur einige zu nennen: engagierte Philosophen mit politischer Haltung, alle auf ihre Weise interessante Vertreter, an denen man sich gerade heute sehr gut orientieren kann.

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      2. Ganz vielen Dank für den Zusatz! Mir geht es aber schon um Literatur, da ist mir tatsächlich Camus näher als Sartre.Dass jeder Mensch stets auch politisch handelt, ist für mich ein ganz anderes Thema (und ein Wunschtraum 🙂 ). Althusser und Foucault haben meines Wissens keine Belletristik geschrieben – oder ist mir da etwas entgangen? DAS wäre mal was!
        Herzliche Restsonntagsgrüße!

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  5. Es hängt alles an der Definition von „Politik“. Wenn man Politik im weitesten Sinn als das Vertreten bestimmter Ideale und Vorstellungen betrachtet, gibt es doch jede Menge gute Literatur. Zum Beispiel gibt es kaum einen lateinamerikanischen oder afrikanischen Roman, in dem es nicht auch um Gesellschaftspolitisches geht. Der Unterschied liegt zwischen „ideologischen“ und „ideologisierenden “ Texten. Bei letzteren ist die literarische Qualität sekundär und meistens auch nicht gegeben. Manchmal sind solche Texte zufällig auch noch gut. Ich habe einmal aus dem chinesischen übersetzte Gedichte gelesen, die ebenso klassenkämpferisch beseelt wie literarisch hervorragend waren. Leider erinnere ich mich an den Namen des Autors. Aber im Allgemeinen würde ich sagen, dass gute Lyrik und Ideologie nur sehr schwer vereinbar sind ….

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    1. Oh, das klingt spannend. Falls Dir der Autorenname doch noch einfällt, bitte denke an mich 🙂
      Ja, immer diese Definitionen. Ich meinte dezidiert bewusste politisch gedachte Literatur, wie Orwells „Farm der Tiere“. Das ist wohl schon ideologisierend gedacht, denke ich. Und das müsste ja auch nicht per se schlecht sein: Ich zum Beispiel würde gerne einen „guten“ ideologisierenden und dennoch literarischen Text gegen die AfD schreiben – wenn so etwas denn möglich wäre …

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    2. Kommt ja auch wieder auf die Definition von „Ideologie“ an. (Und auf die von „guter Lyrik“!) Brecht wurde schon genannt, ich werfe – als Positivbeispiele – noch Kästner ein oder Mascha Kaleko. (Einige andere müsste ich rasch noch mal nachsehen – bin aber gerade zu faul.)
      Ich denke, es kommt auf die Tiefe des Geäußerten an (da ist das genannte von Grass in der Tat zu platt & vordergründig), sowie auf Sprache, Wortschatz, Stil.
      Vielleicht ist eine kleine Ursache unserer heutigen Misere sogar gerade, dass unsere Lyriker meist nur noch Nabel- und eben nicht Gesellschaftsschau betreiben?
      Irja.

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      1. Ja , es ist ein klassisches Thema für lange literaturwissenschaftliche Abhandlungen. Zunächst, bevor man noch irgendetwas Verbindliches sagen kann, muss man „Politik“, „Ideologie“ und „Lyrik“ definieren ……

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      2. Danke für Kalenko und Kästner – wie sehr Du recht mit Ihnen hast. Gerade Kästner ist ein vorbildhaftes Beispiel für (in meinem Sinne hier) „gute“ politische Literatur!
        Abermals liebe Grüße!

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  6. puh, da kommt es in der tat sehr auf definitionen an …
    für mich ist ein roman (immer dann) gut, wenn er es schafft zu berühren. das kann nur geschehen, wenn persönliches mit einfließt, will sagen, wenn ganz konkrete personen eine rolle spielen. dogmatisches, agitatorisches mag ich gar nicht. da blocke ich sofort ab. das gilt in gleichem maße für lyrik. (ich finde es sehr schwierig gute politische lyrik zu schreiben! hatte eigentlich auch nie ambitionen, in letzter zeit jedoch zunehmend das bedürfnis, stellung zu beziehen, aber natürlich auf lyrische subtile art. nicht einfach!)
    der letzte richtig gute politische roman, den ich gelesen habe, stammt übrigens von peter (georgas-frey). sein „sontland“ finde ich wunderbar gelungen!
    herzlichen gruß von diana 🙂

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    1. Vielen Dank für diese großartige Zusammenfassung: Denn auch für mich ist das oberste und wichtigste für „gute“ Literatur: Sie muss mich berühren. Und das scheint in Kombination mit Politik schwierig – oder vielleicht sogar unmöglich – zu sein. Ein Merci auch fürs „Sontland“ – das muss ich endlich mal von meiner Leseliste befreien 🙂 Und: Bei Dir könnte ich mir das sehr gut vorstellen, dass Du das schaffst – Politik und Lyrik zu verbinden …
      Liebe Grüße!

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  7. Vorweg möchte ich deine Gabe für wahrhaft tiefgehende Fragen loben. Dir ist es wieder einmal gelungen, ein wichtiges Thema so anzusprechen, dass der Problemkern sofort erkennbar wird. Das heißt aber leider nicht, dass sich deine Frage genauso deutlich beantworten lässt. Ich kann nur sagen, dass für mich die besten „politischen“ Romane diejenigen sind, die nicht die Botschaft vor sich her tragen, sondern diese eher implizit ganz unangestrengt in die Handlung verwoben haben. Denn Politik ist derart komplex mit dem übrigen Lebensbereichen verbunden, dass sie nur um den Preis der Einbuße an literarischer Qualität herausgelöst werden könnte. Herzlichen Dank und liebe Grüße!

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    1. Vielen Dank für Deine Buchstaben-Blumen 🙂 Und für mich als Leser gilt genau das von Dir gesagte: Die Politik, die Moral, die Aussage muss so eingewoben sein in den Text, dass es mir kaum auffällt. Meine Frage war tatsächlich die, ob es „rein“ polititsche Belletristik ohne diese „Einbuße an literarischer Qualität“ geben kann. Scheinbar wirklich nicht. Ein großes Merci für Deine Anregungen und liebe Grüße zurück!

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  8. Da hast du wirklich wieder ein heißes Problem formuliert, lieber Simon.
    Und die Aussagen Joachim Schlichtings möchte ich direkt für die Lyrik übernehmen. Das Parteipolitische (ich denke da an z.B. Grass‘ niedliche Aufforderung, Es-Pe-De zu wählen), auch noch verbunden mit missionarischem Eifer, ist wohl in der Sache zu platt und vordergründig, um sich mit guter Literatur zu vertragen. Aber viele grundsätzliche Fragen nach Wahrheit, Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Verantwortung – ich mach jetzt nicht so weiter – sind doch eminent politisch und in jedem einzelnen Leben exemplarisch tief verankert, gerade zusammen mit Fragen von Angst, Feigheit, Opportunismus … enthalten sie unendlich Stoff für bewegende und wichtige Texte, ob romanhaft oder lyrisch.
    Vielleicht lassen sich viele Texte auch politisch lesen, die auf den ersten Blick gar nicht so zu sein scheinen; sie können aber in ihren Lesern durchaus demokratische Werte bestärken.
    In Diktaturen sind Schreibende darauf angewiesen, so verklausuliert zu schreiben, und ihre Leser verstehen die Bedeutung aufzulösen.
    Solche versteckende und rätselnde Lese- und Schreibkultur ist bei uns (zum Glück) derzeit nicht nötig, aber gerade zur Zeit wird wieder deutlich, dass wir uns nicht gemütlich zurückgelehnt darauf verlassen können, dass das in Zukunft auch so bleibt.
    Ich vermute, dich treibt im Moment die Frage um, wie man heute schnell wirksam und deutlich warnen kann, ohne sich als Oberlehrer aufzuführen, was wirkungslos, peinlich und – siehe oben – genau das Problem ist. Insbesondere vermute ich, dass die Adressaten politischer Literatur genau diese nicht lesen.
    So muss man doch zu anderen Formen greifen? YouTube? Werbung? Das ist aber nicht deine Frage. Politische Literatur, wie du sie meinst, schreibt man vielleicht ohnehin nur für die „offenen Türen“, s.o.? Welch niederschmetternder Gedanke.
    Ein langer Text, nur um zu sagen: Ich weiß es nicht.

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    1. Zwar ein „langer Text, nur um zusagen: Ich weiß es nicht“ (erinnert mich an Albrecht Dürer, der am Ende seines Lebens schrieb: „Aber was Schönheit sey, das weiß ich nit“), aber ein wunderschöner Text, der mir selbst noch einmal besser klar gemacht hat, was ich eigentlich denke und sagen will – Deine Vermutung trifft absolut zu 🙂 Schon allein für dieses verschärfende Bewusstmachen meinen herzlichsten Dank, liebe Ule! Du beschreibst auch die Zwickmühle perfekt: etwaige Leser einer solchen Literatur brauchen ohnehin nicht aufgeklärt werden, die anderen sehen eher Youtube. Vielleicht müsste man ja wieder wie in den 70ern in die Fabriken gehen, ach, mir geht es wie Dir: Ich weiß es nicht.
      Ganz herzliche Grüße für Dich!

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    1. Liebe Anna,
      ich (und wir alle) haben zu danken für Dein Engagement! Ob ich selbst etwas Brauchbares zum Thema zustande bekomme (denn wie dieser Blogeintrag zeigt, bin ich da arg skeptisch-zerrissen), weiß ich noch nicht, sage aber meinen herzlichsten Dank für die Einladung!
      Liebe Grüße zurück nach Berlin!

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  9. Gutes Thema! Und nicht einfach zu behandeln.

    Wie schon mehrfach gesagt wurde: Es kommt auf die Definitionen an. – Was ist „Politik“, was „Ideologie“, was „gute“ oder „schlechte Literatur“?

    Versteht man unter Politik nur das, was von unseren Berufsvolksvertretern betrieben wird, und den Protest dagegen, dürfte es schwer sein, daraus (stilistisch) „gute“ Literatur zu machen. Obwohl … Sind zum Beispiel Essays, Glossen etc. nicht auch Literatur? Und da habe ich schon manche recht „ideologische“ (im Sinne: beeinflussende, in eine Richtung drängende) und dennoch sprachlich gute und gedanklich tiefe gelesen.
    Versteht man Politik aber im Sinne der „politeia“, der Bürgergemeinschaft, Beschäftigung mit Gesellschaft usw., ist „gute Literatur“ davon kaum zu trennen.

    Im Gegenteil könnte man sich fragen: Versuchen nicht zu viele heutige Autoren, womöglich aus Angst davor, ideologisch oder propagandistisch zu erscheinen, „unpolitisch“ zu schreiben? Und werden gerade deshalb „politisch“ (gesellschaftlich) in einer ungewollten Richtung wirksam?
    Auch das Verschweigen von Missständen, ein Sich-Heraushalten, ja, selbst Unentschiedenheit oder Ratlosigkeit haben ja „politische“ Relevanz bzw. beeinflussen Mitmenschen (Leser, Hörerinnen etc.) in bestimmter Weise.

    Ich denke, „wir Autoren“ 😉 sollten – in diesem Sinne – immer „politisch“ schreiben!
    Wir sollten uns immer unserer eigenen Einstellung – gewissermaßen unserer „Ideologie“ – bewusst sein, in schonungsloser Ehrlichkeit. (Wir müssen das ja nicht ungeschminkt kund tun, aber wir sollten wissen, wo wir selber _wirklich_ stehen.)
    Und wir sollten uns der Wirkung von Worten und Geschichten bewusst sein, der Wirkung von _unseren_ Worten und _unseren_ Plots. Was sage ich meinen Mitmenschen mit dem, was ich da schreibe? Welche Richtung gebe ich ihren Gefühlen, ihren Gedanken? Will ich das? Und wenn nicht, wie könnte ich es anders schreiben?

    Der Verlag, der meinen Roman einst ablehnte mit der Begründung, darin erscheine Schwulsein als etwas Häufiges und Normales, hat in diesem Sinne „politisch“ gehandelt. Und ich ebenfalls, indem ich die Antwort mehrfach zitierte und vor allem meinen Roman natürlich kein bisschen änderte.
    SF- oder Fantasy-Autoren schreiben politisch, wenn sie alles „dystopisch“ in Gewalt und Düsternis enden lassen – oder eben auch nicht.
    Und so weiter, und so fort.

    Wie und was wir schreiben, das ist eben unsere Verantwortung als Autoren. Und das ist durchaus „politisch“.

    Irja.

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    1. Ein großes „Sorry“, dass ich Dir erst jetzt auf Deinen Kommentar antworte – der ist irgendwie bei mir untergegangen: Also SORRY!
      Sehr spannend finde ich Deinen Rekurs auf den Ursprung des Wortes Politik, auf die „politeia“ – und natürlich Deinen mein Herz wärmenden Aufruf, dass wir alle, die schreiben, sehr wohl politisch schreiben müssen-sollen-dürfen! Ganz herzlichen Dank dafür.
      Mit vorweihnachtlichen Grüßen und den besten Wünschen für Dich!

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