Comics lesen 2.0 – Bildergeschichten auf dem Tablet

Vor einiger Zeit hatte ich über meine immerwährende Abneigung gegenüber Ebook-Readern geschrieben. Abgesehen von der Gewichtsreduzierung fehlte mir in der Argumentation dabei letztlich ein – irgendein – Mehrwert. Heute ist die Zeit da für eine Gegenposition, denn für ein ganz bestimmtes Genre muss ich eine Ausnahme machen.

Comics habe ich schon immer gern gelesen. Sie waren für mich das Tor zur Bücherwelt, die Brücke zwischen Bilderbuch und literarischem Text. Das begann mit Donald Duck, Fix und Foxi, Bessy, führte unweigerlich über Asterix, Tim und Struppi, Prinz Eisenherz, Gaston oder Lucky Luke bis hin zu den Klassikern wie Corto Maltese, Leutnant Blueberry, die Incal-Reihe von Moebius, Gaimans „Sandman“ … und wie sie alle heißen. Auch Superhelden las ich mit Hingabe, angefangen beim noch in schwarzweiß gezeichneten Phantom, nie aufgehört mit den Helden von DC Comics (Superman, Batman, Wonder Woman und Co) oder Marvel (Spiderman, Daredevil, Fantastic Four et cetera).
Anders als wohl die meisten kindlich-jugendlichen Comicleser habe ich nie mit der Lektüre dieser Bildergeschichten aufgehört.

Es gibt nur zwei Probleme dabei: Comicbüchern nehmen erstaunlich viel Platz weg, und sie sind, gerade seit sie dicker wurden und sich vom simplen Comic-Heftchen zur gewichtigen Graphic Novel wandelten, ungemein teuer: Ein paar Stunden Lesevergnügen können da locker 40,- Euro kosten. Eigentlich nur aus diesem Grund lud ich mir – spaßeshalber, wie ich dachte – ein Comic auf’s Tablet. Und wurde überrascht.

Um zu verstehen, warum ich von dieser Leseerfahrung begeistert war und bin, muss ich auf Fotos zurückgreifen. Die sind zwar nicht besonders gut geworden, alldieweil der Touchscreen stark spiegelt – aber worauf es mir ankommt, wird hoffentlich klar werden. Die Beispielseite stammt aus „Knightfall“, einem sich über 2000 Seiten streckenden Storyarc aus dem Batman-Universum. Hier also eine willkürlich herausgegriffene Seite auf meinem kleinen Tablet-PC.

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Und mit der Brille als Vergleich wird deutlich: Das ist wirklich klein. Wie soll ich so den Text lesen können? Zwar kann ich per Fingergrätsche in das Bild zoomen – aber das machte weder Spaß noch Sinn. Bevor ich enttäuscht meinen Leseversuch gleich wieder aufgab, installierte ich probeweise ein Programm speziell zum Lesen von Comics. Das zeigte mir zwar zuerst die Seite genau wie oben im Bild, aber dann wischte ich mit dem Zeigefinger und sah das:

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Comics bestehen aus sogenannten Panels, was die einzelnen Bilder meint. Die Beispielseite besteht also aus fünf Panels. Offenbar switchte die Lese-App auf das erste Panel und vergrößerte es. So konnte ich den Text natürlich problemlos lesen (na ja, sind auch nur zwei Wörter 🙂 ). Noch einmal wischte ich über den Bildschirm und richtig, das zweite Panel erschien:

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Sofort fand ich dieses Betrachten in Einzelbildern faszinierend. Durch die mittige Präsentation jedes Panels gewinnt das isolierte Bild wesentlich mehr Gewicht als beim Drüberlesen im Papierformat. Jedes Panel für sich wird zu einem einzelnen Kunstwerk (jetzt sage mir bitte keiner, dass ich doch lieber NICHT Batman als Beispiel gewählt hätte …). Durch das Aufblasen eines Panels über die Größe auf dem Papier hinaus wurden mir auch Details bewusst, die ich sonst wohl übersehen hätte – hier etwa die maskierte Fledermaus im Anflug auf dem Rückspiegel. Noch ein Wisch weiter:

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Dieses dritte Bild verdeutlicht gleich wieder die Grenzen der elektronischen Präsentationsform: Die wirbelnden Baterangs „sprengen“ das Panel, gehen also über dessen Rahmen hinaus. Sieht zwar auch im Einzelbild nett aus, verliert aber im Vergleich zur Komposition der Gesamtseite: Wenn ihr euch selbige oben noch mal anschaut, werdet ihr merken, wie der weiße Diskus drei Panels auf sinnige Weise verbindet und auf das nächste Bild unten „zielt“. Das ich mit einem weiteren Wischen erreiche:

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Okay, das Panel ist quergelegt. Dadurch wird’s wesentlich kleiner auf dem Display angezeigt – mehr Text wäre hier schon wieder schlecht zu lesen. Was mich aber beeindruckte: Der Hintergrund hat sich verändert – von weiß zu schwarz. Ist schwer auf dem Foto zu erkennen, sorgt aber für Abwechslung und eine neue Ästhetik. Später bemerkte ich, dass auch andere Farben immer wieder einmal als Hintergrund für einzelne Panels eingesetzt werden. Sehr schön. Und ein letzter Wisch:

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Wieder mit schwarzem Hintergrund, wieder querformatig. Tatsächlich ein bisschen zu klein. Noch lesbar, aber suboptimal. Natürlich kann ich das Tablet in die Waagrechte drehen und bekomme so ein großes Bild:

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Aber ein ständiges Hin- und Herdrehen des Gerätes macht zumindest mir keine Freude, sodass ich die kleinere Darstellung meist in Kauf nehme.

Insgesamt finde ich beim Lesen von Comics in ihrer elektronischen Form genau das, was mir bei Literatur auf dem E-Book-Reader fehlt: einen neuen Ansatz. Oh, es gefällt mir nicht besser! Nach wie vor genieße ich Comics auf Papier, freue mich an der Schönheit glänzender Seiten oder genieße die unterschiedliche Größe der einzelnen Bilder, etwa wenn ein Splash-Panel die Augen überflutet (das sind großformatige Einzelbilder, die über die ganze Seite gehen). Aber das elektronische Lesen von Comics hat tatsächlich einen Mehrwert: Es verwandelt die einzelnen Panels in für sich allein stehende „Gemälde“, und es ändert die Fließgeschwindigkeit des Auges, das nicht mehr alle Szenen gleichzeitig im Blick hat.

Und das Beste von allem können meine Fotos gar nicht zeigen: Wischt man von einem Panel zum nächsten, dann „rutscht“ die Szene sichtbar zur Seite weg. Dieser Effek ist großartig, weil er etwas von einem Film hat. Dieses Lesen 2.0 macht aus den Comics dann tatsächlich so etwas wie „bewegte“ Bilder.

Lest Ihr Comics? Und wenn, dann auch auf dem Tablet-PC? Habt Ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?

© des Comics: Batman: Knightfall, Vol.2: Knightquest, DC Comics, 2012, via ComiXology.

13 Gedanken zu “Comics lesen 2.0 – Bildergeschichten auf dem Tablet

    1. Ja, auf manchen E-Readern funktioniert das wohl nicht – und zwei Geräte (Reader und Tablet) zum Lesen ist auch wieder irgendwie nervig …
      Comics haben, genau wie alle andere Kunst, ihre Zeit. Vielleicht greifst Du ja doch irgendwann wieder zu einer dieser Bildergeschichten 🙂
      Liebe Sonntagsgrüße!

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  1. Lieber Simon,

    ich war immer nur für kurze Phasen und keineswegs leidenschaftliche Comicleserin.
    Doch vor einiger Zeit wollte ich endlich mal wissen, was es mit diesen viel gepriesenen Graphic Novels auf sich hat, und habe mir ein paar bestellt – auf Papier gedruckt, fast hätte ich geschrieben: natürlich. Da ich schon nicht mehr weiß, welche es waren (eine war „Die Judenbuche“) – ich muss also sehr beeindruckt gewesen sein – wollte ich noch mal eben reinschauen, bevor ich hier schreibe. Und was soll ich dir sagen? Ich finde sie nicht wieder in meinen umgänglicher Bücherschränken. Wahrscheinlich gab es keine Kategorie, in die sie passten, und ich habe sie irgendwohin gesteckt. Jetzt bin ich gespannt, wann und bei welcher anderen Suche ich sie eines Tages wieder entdecke.

    Deine Erfahrung mit dem Tablet finde ich allerdings sehr spannend, ich glaube, das probiere ich mal aus – demnächst.
    Sei herzlich gegrüßt von
    Ule

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    1. Ich kann mir gut vorstellen, dass Deine Bücherschränke so umfänglich wie umgänglich sind 🙂 Manchmal stelle ich sie (und Regale) mir schon als semilebendige Wesen vor, die zur rechten Zeit ganz freundlich und umgänglich mir genau das richtige Buch „ausspucken“ 🙂
      Was die Comics angeht: Gerade Literatur-Umsetzungen wie die „Judenbuche“ sind nicht so mein Ding (das ist ähnlich schwierig wie bei Verfilmungen). Originär als Comic geschaffene Bände haben eine ganz andere und eben eigene Dynamik und Ästhetik. Bücher wie Satrapis Persepolis oder Gaimans Sandmann setzen gerade nicht eine Geschichte in Bilder um, sondern erschaffen ihre Geschichte mithilfe der Bilder (schwer zu erklären, hoffentlich verstehst Du, was ich meine 🙂 ).
      Ganz herzliche Grüße zurück und einen wunderbaren Sonntag wünschend,
      Dein Simon

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      1. Ja, ich verstehe, was du meinst, und vielleicht war das genau die Ursache meines missglückten Versuchs: Der Gedanke, sich durch eine literarische (und vertraute) Vorlage den Zugang zu erleichtern, kann durch eine grundsätzliche Wesensfremdheit der Genres tatsächlich das Gegenteil bewirken.
        Vielleicht sollte ich dem Medium noch eine Chance geben, auch mit Hilfe des Tablets möglicherweise. Hast du vielleicht eine Empfehlung, was als Einstiegsdroge bei mir wirken könnte – meine ästhetischen Vorlieben kennst du ja mittlerweile ein bisschen ☺

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      2. Buch- und Filmempfehlungen sind ja mit das schwerste überhaupt im Leben 🙂
        Am einfachsten wäre es, Du könntest in der Stadtbibliothek mit Comic-Sammlung einfach mal ein bisschen stöbern, was Dich anspricht – die Bandbreite ist riesig. Neulich las ich Jiro Taniguchi „Die Wächter des Louvre“, gefiel mir sehr, weil’s nicht nur um Kunst, sondern auch den Mensch ging. Klassiker, die Dir vielleicht gefallen könnten, sind neben den genannten Büchern „Persepolis“ von Satrapis und Neil Gaimans „Sandman Preludes & Nocturnes“ beispielsweise Alan Moores „V for Vendetta“, Spiegelmans „Maus“ (das ich überhaupt nicht mag, aber ein Stück Comic-Geschichte ist) oder relativ neu Scott McClouds „Bildhauer“. Aber auch ein guter Tim-und-Struppi-Band fällt mir immer wieder gern in die Hände 🙂
        Bin gespannt, ob Du einen Weg hinein in diese Bildergeschichten findest! Ich sende Dir einen herzlichen Abengruß!

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      3. Mir fällt gerade auf, dass ich dir für deine Mühe noch gar nicht gedankt habe. Deinen Empfehlungen bin ich mittlerweile zum Teil gefolgt (habe mir Die Wächter des Louvre auf dem e-reader angesehen) und bin davon tatsächlich ganz angetan. So ganz mein Lieblingsgenre werden Graphics aber wohl nicht. Aber eine interessante Erfahrung werden sie auch in der nächsten Zeit bleiben, weil ich die spezielle Bildgestaltung im Vergleich zur klassischen Fotografie spannend finde. Danke dir also für die zusätzliche Farbe an meinem Horizont.

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      4. Das freut mich sehr! Ich bin grade unvorhersehbarerweise noch bis Ende der Woche unterwegs – deshalb nur kurz (und ohne lyrische Aktivitäten 🙂 ). Bis dann!!

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  2. Die Vielfalt der erhältlichen Comics ist schier unerschöpflich, aber ich lese nur „Tim und Struppi“. Und da es nur eine begrenze Zahl von Abenteuern gibt und keine neuen mehr erscheinen, habe ich natürlich alle Alben im Regal und kann sie lesen, wann immer ich will – als Papiercomic, ohne Tablet, ohne Strom.
    Wenn Hergé (der „Vater“ von Tim und Struppi) noch lebte und sich weiterhin neue Abenteuer von Tim und Struppi ausdenken würde, würde ich über elektronische Versionen nachdenken? Vielleicht. Aber kaufen würde ich mir die Papierversion auf jeden Fall…

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    1. Was, und keinen Asterix? Die frühen Bände sind doch auch großartig 🙂
      Mir ging es bei dem Beitrag eigentlich nur darum, dass ich überrascht war: Endlich mal WIRKLICH ein anderer Ansatz im elektronischen Medium. Und das hat mir schon gefallen. Was wie gesagt nicht heißen soll, dass gerade sowas wie Tim und Struppi einfach in papierblätternde Hände gehört 🙂
      Ganz liebe Grüße!

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  3. Mir wurde warm ums Herz, als Du zu Beginn jene Comics aufgezählt hast, die ich auch in meiner Kindheit lesen durfte: Fix und Foxi und Co. (Kennst Du auch das Comic-Magazin „Zack“?) Vorzugsweise als ich krank war und das Bett hüten musste … Als Erwachsener habe ich lückenlos „Spirou & Fantasio“ Bände gesammelt. Dein „Ansatz“, oder Deine positive Entdeckung, Comics auf dem Tablet (mit einer zusätzlichen App!!) zu lesen, ist ja durchaus nachvollziehbar. Und es hat mich auch überrascht, dass man es so handeln kann. Aber ich habe kein Tablet. Ich werde mir zum Comic lesen auch keins anschaffen. Daher, sei mir bitte nicht böse, kommt dieser Beitrag für mich in die „Luxusecke“.

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    1. Luxusecke, das gefällt mir 🙂 Ausgangspunkt war ja auch nur, dass ich E-Reader nach wie vor nicht mag und die Technikbegeisterung vieler in dieser Hinsicht nicht verstehe. Dieser Text hier ist einfach der Fairness geschuldet. Denn obwohl ich natürlich nach wie vor auch Comics lieber auf Papier lese, begeisterte mich diese neue, andere, technikbasierte Lesart.
      Und „Zack“, natürlich kenne ich das. Michele Vaillant, Luc Orient und Andy Morgan waren da meine Lieblinge 🙂
      Herzliche Grüße!

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