3. Teil, 5. Kapitel, 1. Szene

»Morgen, Mister Spock.« Jimmy tätschelte den Hund, wich den nach ihm schnappenden Zähnen mühelos aus und erklärte: »Dazu bist du noch viel zu schwach, Kleiner.«

Jimmy-Boy kicherte. Er hatte den Stumpf der Rute mit Feuer ausgebrannt. War eine unschöne Sauerei geworden, denn der Köter hatte nicht nur gejault und nach ihm gebissen, sondern sich auch noch eingepisst.

»Braver Scheiß-Köter.« Kerk streckte sich, gähnte, kramte im Rucksack und warf dem Tier schließlich kaltes Corned-Beef aus der Dose hin. Gierig schlang Mister Spock alles herunter. Nach der Amputation gestern hatte Jim ihn zum ersten Mal gefüttert, war dann einfach aufgestanden und losgelaufen – weiter die Autobahn entlang, dem Sonnenuntergang entgegen, lonely Cowboy und so weiter. Das blutige Messer hielt er noch lange in der Hand, um an der Klinge zu schnuppern. Hundeblut, hatte er gedacht, riecht auch nicht anders als das vom Mensch. Er war losgegangen, ohne sich umzudrehen. Genau hundert Schritte, bis er doch stoppte. Zitternd tapste Mister Spock heran und stupste mit seiner Schnauze an Jimmy-Boys Bein. Ehrfürchtig. Kriecherisch. Typisch Köter eben. »Guter Hund«, hatte er gelobt, bevor sie weiterliefen.

Und als er heute Morgen aufgewacht war, lag Mister Spock immer noch, zusammengerollt wie ein Katzenvieh, neben ihm.

Der erste Untertan meines neuen Königreichs, dachte Jim – und dachte weiter. Ausführlich und intensiv. Den ganzen sonnig-sommerlichen Scheißtag lang dachte er nach. Es war an der Zeit, überlegte er, dass die Bürger des Reichs unter seiner Knute zusammengeführt wurden, na ja, Knute nicht, unter seinem Messer mit Wellenschliff eben und dem Colt Python aus mitternachtsblau brüniertem Stahl und mit einer Griffschale aus Hirschgeweih.

Auf jemanden, der immun gegen den Blick der Medusa war, würde Jimmy wohl nicht so schnell treffen – das hatte er ja schon längst ausgerechnet. Und mit Frosties konnte man sich so schlecht unterhalten, haha, die bekamen einfach den Mund nicht auf. Aber es musste noch andere geben. All jene, die von der Gorgone zwar angehaucht, aber noch nicht umgehauen worden waren. All die gehirnamputierten Trottel auf dem Weg zur Erstarrung, Zombies mit sich verlierenden Erinnerungen. Flitzer auf dem Weg zur Selbstverbrennung. Irgendwen. Irgendwas.

Den ganzen sonnig-sommerlichen Scheißtag dachte Jim Kerk nach. Der Himmel über ihm leuchtete in gelangweiltem Blau, vom Sturm war kein noch so kleiner Wolkenrest übrig geblieben. Die Autobahn streckte sich unter seinen Füßen aus wie eine große, straf auf den Boden genagelte Schlange. Autowracks wie Dinosaurierskelette. Birken mit frischen Trieben, frühlingsgrüne Gräser im rissigen Straßenbelag. Die Stille wölbte sich so groß und total über Jimmy-Boy wie der Himmel. Nur seine Schritte auf dem bröckelnden Asphalt, nur das Tapsen von Mister Spock, nur das Plappern seiner Gedanken: Oh ja, oh ja, er würde seine Untertanen finden.

***

Aber sie waren es, die ihn fanden. Über Nacht hatte Jimmy sich in der Ruine einer Tankstelle verkrochen, die wie ein totgeborener Embryo an der Nabelschnur der Autobahn hing. Systematisch stockte er seine Nahrungskonserven auf. Benzin gab es keins mehr, jedenfalls kam aus den Zapfsäulen nur ein luftiges Rülpsen, als er sie ausprobierte. Kirk machte sich sein Lager im Verkaufsraum zurecht, knabberte muffige Schokoladenriegel und blätterte im letzten Tageslicht ein paar Porno-Zeitschriften durch.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, drückte ein verdammtes Schwert an seinen Hals.

Mister Spock neben ihm hechelte nur. Als Wachhund war der schon mal eine absolute Niete. Mehr überrascht als ängstlich starrte Jimmy zu dem Gesicht hinauf, das sich über ihn beugte. Registrierte die von rechts nach links zuckenden Pupillen, die flirrenden, verwischten Bewegungen der Lippen.

»Werbistdu? Wohinwillstdu? Wirwerdendichtöten.«

Ein Flitzer im Anfangsstadium. Noch verständliche Sätze, aber schon aggressiv. Hungrig auf Blut.

Jimmy widerstand der Versuchung, nach seinem Colt zu tasten: Der Flitzer hätte ihm den Kopf abgeschlagen, bevor er die Waffe auch nur gezogen hätte.

Wir? Hatte der Speedie »Wir« gesagt?

Und in diesem Moment, als er in die überschnell hin und her huschenden Augen blickte, in dieses gequälte, geschundene Gesicht, begriff Jim Kerk, dass er sein Königreich nicht mit Gewalt aufbauen konnte, mit Hass und Tod und Kugeln aus seinem Colt Python. Oh nein, die Überlebenden dieser Welt brauchten keine Gewalt, die hatten sie schon selbst im Überfluss erlebt. Sie brauchten etwas ganz anderes: Hoffnung.

»Ich bin ein Freund», sagte Jimmy-Boy lächelnd. »Ich suche euch schon so lange. Und ich werde euch helfen!«

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10 Gedanken zu “3. Teil, 5. Kapitel, 1. Szene

    1. Geht jetzt mit großem Schritten dem Ende zu – noch drei oder vier Posts, dann ist „Elmsfeuer“ fertig. Da MUSS ich ja vorher noch ein paar Drehungen machen 🙂
      Liebe Grüße!

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  1. Hm. Hier muss ich sagen, der vorletzte Absatz ist mir ein wenig zu plakativ. Einer wie Jimmy überdenkt doch nicht konstruktiv seine Situation und die der anderen? Ich meine, er weiß schon, wie er die Flitzer zu seinem Vorteil manipulieren kann, doch das kommt so mit einem Hammergedanken, dem ich ihm nicht so recht abnehme.

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    1. Interessant. Ich wollte es als „blitzartige“ Einsicht beschreiben zu etwas, über das er sich nicht richtig klar war. Aber Du hast schon recht – er weiß schon viel zu gut, wie er andere manipuliert! Muss ich mal drüber nachdenken, wie ich das am besten „entschärfe“. Meinen herzlichen Dank!

      Gefällt 1 Person

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