Teil 2: Douglas Adams oder Günter Grass
Meine zweite Annäherung an unterschiedliche Autorentypen – hier gehts zu Teil 1 – beschäftigt sich mit einer häufig diskutierten Unterscheidung in der kreativen Herangehensweise: Offenbar gibt es unter SchriftstellerInnen zum einen den Planer, der seinen Plot vor dem Schreiben bis in die einzelnen Kapitel und Szenen konstruiert, zum anderen den freien Drauflosschreiber, der seine Geschichte erst wähernd des Schreibens entwickelt. Andere Begrifflichkeiten dieses Gegensatzpaares sind Architekt vs. Gärtner oder – im englischen Mäntelchen – Outliner vs. Discovery-Writer.

Zu den Drauflosschreibern/Gärtnern/Discovery-Writern gehört (neben Stephen King beispielsweise) der Schöpfer des großartigen Zyklusses Per Anhalter ins All. Von Douglas Adams ist bekannt, dass er ohne konkrete Idee losschrieb und seine Figuren (fies wie er war) in die schlimmste aller möglichen Situationen brachte. Sie dann dort wieder herauszulavieren – das fand Douglas Adams spannend. Wenn er von vorneherein wüsste, was passiert, wäre für ihn das Schreiben nur eins: langweilig. Ähnlich denkt etwa Wolfgang Hohlbein, der seine manchmal tausendseitigen Werke mit nichts anderem beginnt als einer vagen Idee und – dem ersten Satz.

Beispiel für den Planer/Architekten/Outliner soll hier Günter Grass sein. Seine „Blechtrommel“ beispielsweise entstand, wie Grass selber berichtet, über „… gute fünf Jahre lang als Entwurf oder Vorprodukt, als erste, zweite und dritte Niederschrift.“ Außerdem plante er genau: „Ich weiß, daß ich mehrere Pläne, den gesamten epischen Stoff raffend, grafisch entworfen und mit Stichworten gefüllt habe.“
Vielleicht hat Grass ja aus seinen Erstlings-Erfahrungen gelernt. In seiner Nobelpreis-Rede erzählt er von einem frühen Schreibversuch: „So viel erinnere ich, daß nach kurzer Darstellung der wirtschaftlichen Lage im kaschubischen Hinterland sogleich die Räuberei und mit ihr das Hauen und Stechen begann. Dergestalt heftig wurde gewürgt, erdolcht, aufgespießt und durch Femespruch mit Galgen oder Schwert gerichtet, daß gegen Ende des ersten Kapitels alle Hauptdarsteller und ein Gutteil der Nebenpersonen tot, verscharrt oder den Krähen als Fraß vorgeworfen waren. Da mir mein Stilgefühl nicht erlaubte, die angehäuften Toten als Geister handeln und den Roman ins Schauerliche vorantreiben zu lassen, mußte mein Versuch als gescheitert gelten.“
Für mich gilt übrigens Ähnliches: Planung ist alles. Als Drauflosschreiber verzettel ich mich heillos und weiß irgendwann nicht mehr weiter. Wenn’s also heißt „Welcher Autorentyp bin ich“, finde ich mich nicht bei Douglas Adams, sondern bei Grass. Wobei ich merke, dass sich das über die Jahre geändert hat: Heute brauche ich nicht mehr so ein detailliertes Netz aus Kapitelabfolgen wie früher – ich habe offenbar einige Strukturen verinnerlicht.
Noch zwei Linktipps zum Schluss: Über die nicht ganz so offensichtlichen Ähnlichkeiten von Outlinern und Discovery-Writern hat Marcus Johanus einen interessanten Text geschrieben, und Erin J. Steen ging den Ursprüngen und Folgen des Architekten/Gärtner-Paares nach.
Bildnachweis:
Douglas Adams: Michael Hughes / Wikiseite
Günter Grass: Gorup de Besanez / Wikiseite
Interessant ! Das ist bei den Malern genauso. Wahrscheinlich sind das überhaupt zwei mögliche Ansätze, wie man an vieles im Leben herangehen kann.
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Ja, bei Musikern wohl auch: Die einen packen die Klampfe und zupfen sich einen Song zusammen, die anderen entwickeln Notengruppen auf dem Papier …
Liebe Grüße!
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Da bin ich also wieder auf deiner Seite und klassifiziere mich selbst. Danke erstmal für die Referenz!
Ich sehe mich eher bei den Gärtnern, obwohl auch auch irgendwie plane. Ich plane aber erst, nachdem ich angefangen habe zu schreiben. Ich plane quasi rekursiv. Mein erster Plan ist ganz grob – kaum mehr als eine erste vage Idee. Person sieht sich mit Situation konfrontiert und reagiert darauf. Nun muss ich die Person finden, um ihre Reaktionsmuster zu ergründen. Dann schreibe ich los und komme irgendwo heraus, wo ich mehr Fragen oder Ideen brauche. Meist bestimmen hier schon die Figuren die Geschichte vollständig. Ich sammle die losen Fäden ein und muss anfangen zu planen, was in welcher Abfolge passiert. Manchmal plane ich erst, wenn der erste Entwurf fertig ist.
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Interessanter Ansatz – Du bist also unter den Gärtnern nicht der geometrische Franzose, sondern eher die englische Landschaftsgärtnerin 🙂
Immer wieder faszinierend, wie der kreative Prozess – teilweise bei allen ähnlich, teilweise ganz individuell – läuft …
Liebe Grüße!
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Definitiv, wie du bei einem Blick in meinen echten Garten unschwer erkennen würdest!
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Haha. Natürlich bin ich das Genie, das über solchen Dingen steht. Ich könnte ein Tintenfass an die Wand schmeißen und es entstünde ein Poem. 😉
Aber ganz ernsthaft – ohne eine durchdachte Struktur bin ich bei größeren Texten aufgeschmissen. Denn ich schreibe nicht gern sequentiell. Da ist ein gutes Gerüst sehr nützlich, das ich Stück für Stück mit Inhalt füllen kann. Theoretisch mag das zwar ineffizient wirken – aber für mich funktioniert es in der Praxis. Es hilft auch, die jeweilige Energie optimal zu nutzen. Manchmal habe ich zwar auch das Gefühl, dass einfach so draufloszuschreiben suuuper funktioniert – aber bei Tageslicht bleiben dann meistens nur noch ein paar brauchbare Sätze übrig. 🙂
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Jaaaa, geht mir genauso. Aber träumen wird man ja können: Das mit dem Tintenfass wäre doch super! Oder im Schlaf den perfekten Text eingegeben zu bekommen und beim Aufwachen nur hinschreiben. Stattdessen konstruiert und plant man, plottet und strukturiert. Dein Bild mit dem Gerüst, das Stück für Stück mit Inhalt gefüllt wird, gefällt mir. Ich stell mir meinen Text immer wie eine menschliche Figur vor: Ohne Knochen, Struktur, Skelett fällt der ganze Story-Körper zusammen …
Liebe Grüße!
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Ja, das Skelett gibt dem „Ding“ Halt, aber auch Form. Die Struktur ist ja auch wichtig um Überflüssiges zu erkennen. Da muss man halt auch mal schweren Herzens gelungene Formulierungen und spannende Ideen streichen, wenn sie dem Ganzen mehr schaden als nützen. Das „zu viel des Guten“ erkennen und eliminieren ist ja einer der wichtigsten Schritte im Schreibprozess (sehr im Interesse der Leser). Und da ist eine funktionierende Struktur sehr hilfreich.
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Weise Worte – meinen Dank!
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Grass natürlich!
Ist der andere kaotische Typ etwa ein Schriftsteller???
Wohl kaum…
Abendgrüße vom Lu
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Oh doch, Schriftsteller war er sehr wohl – und kein schlechter 🙂
Liebe Abendgrüße zurück!
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Na dann, wenn du meinst *g*
Du meinst so eine Art 42-Clown?!
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Exakt. Jeder, der erkennt, dass die Frage wichtiger ist als die Antwort ist in meinem Multiversum automatisch ein Schriftsteller 🙂
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*lach* das klingt sehr seltsam…
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