Flaubert über die Allmacht des Autors

Gustave Flaubert ist der Autor von Madame Bovary, einem großartigen Buch, das mir nie so richtig gefiel. Ein Buch, das den 1880 gestorbenen Schriftsteller vor Gericht brachte – die Anklage lautete: „Verstoß gegen die guten Sitten“. Digitalisiert im Projekt Gutenberg kann man den kompletten Roman hier nachlesen.

Im Dezember 1852, sechs Jahre bevor Madame Bovary häppchenweise in La Revue de Paris veröffentlicht wurde, schrieb Flaubert in einem Brief an seine Geliebte und Schriftstellerkollegin Louise Colet folgenden faszinierenden Satz:

„Der Verfasser soll in seinem Werke sein wie Gott im Weltall: überall gegenwärtig und nirgends sichtbar.“

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/Gustave_flaubert.jpg
Gustave Flaubert, Porträt von Nadar

Was Flaubert so dichterisch treffend zusammenführte, trennten Germanisten wie Franz Stanzel um 1950 wieder auf: Sie definierten den „auktorialen“ als Gegenpart zum „personalen“ Erzähler. Der auktoriale ist der allwissende, alle Figuren kennende und nicht zuletzt kommentierende und richtende Erzähler. Einer, der es dem Leser leicht macht, sich mit den Personen der Geschichte zu identifizieren. Stephen King beispielsweise schreibt gern auktorial. Mit Flauberts Worten: ein überall gegenwärtiger Gott.

Den personalen Erzähler in literaturwissenschaftlicher Typologie dagegen definieren Stanzel und Co so: Der Leser bekommt ihn gar nicht mit. Der Text wird aus der Sicht (meist nur) einer Figur wahrgenommen. Keine Kommentare, kein Allwissen, keine Perspektivenwechsel. Der Erzähler ist, wieder formuliert nach Flaubert, „wie Gott nirgends sichtbar“.

Natürlich gestehen die Literaturwissenschaftler Mischformen zu, und natürlich muss man zwischen Autor und Erzähler noch einmal unterscheiden. Aber auf jeden Fall lohnt es sich für jede/n Schriftsteller/in über seine/ihre Erzählperspektive nachzudenken. Dazu muss man nicht unbedingt Literaturtheorie wälzen (obwohl das ganz spannend ist). Es genügt schon, sich Flauberts Satz immer mal wieder zu vergegenwärtigen, quasi auf der Zunge zergehen zu lassen: „Der Verfasser soll in seinem Werke sein wie Gott im Weltall: überall gegenwärtig und nirgends sichtbar.“

Hach, schön.

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3 Gedanken zu “Flaubert über die Allmacht des Autors

  1. Nix gegen Stephen King, aber ich finde Flaubert spielt inhaltlich und sprachlich schon in einer anderen Liga. Es ist natürlich auch ein völlig anderes genre und eine andere Zeit, aber trotzdem

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    1. Und deshalb darf ein Stephen-King-Fan keinen Flaubert zitieren?? 🙂
      Inhalt ist kein Qualitätsmerkmal – der Inhalt von Flaubert und King dreht sich um Menschlichkeit, Liebe, Gesellschaft und Selbsterfüllung. Sprachlich hast Du völlig recht, aber das ist durch den zeilichen Abstand auch schwer. Einigen wir uns doch auf: Beide sind – auf ihre art – gute Autoren 🙂

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      1. Aber sicher doch. Es ehrt einen Stephen King-Fan, wenn er Flaubert zitiert; das beweist Flexibilität 🙂
        Ja, darauf können wir uns verständigen, dass beide auf ihre Art gute Autoren sind. Ich lese sie auch beide gerne nur eben in ganz verschiedener Absicht ….

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