Schon weil gerade Regenschauer den Sommermotor zum stottern brachten, habe ich dieser Tage Neverwinter Nights 2 zu Ende gespielt, ein schon älteres, klassisches Rollenspiel. Computerspiele sind ja glücklicherweise gesellschaftsfähig geworden und aus der Ecke miefiger Nerds auf eine Ebene gewandert, die (fast) auf gleicher Höhe mit Film oder Buch liegt. Naturgemäß interessiert mich als Autor die Story eines Spiels mehr als die Game-Mechaniken (zumal ich weder die motorische Geschicklichkeit noch die Zeit zum Trainieren derselben habe). Die Geschichte ist es, um die es mir geht – wie in jedem anderen erzählerischen Medium auch. Was hat ein Computerspiel in dieser Beziehung mehr zu bieten als ein Buch oder Film?
Die Antwort ist einfach. Hier erstmal ein Screenshot gegen Ende der Kampagne:
Da steht also mein winkender Level 19-Kämpfer in roter Drachenrüstung, begeleitet von seiner Gruppe, die man bei solchen Spielen (warum auch immer) „Party“ nennt: einer Sumpf-Druidin, einem Zwergen-Mönch und einem Dämonen-Dieb. Rund 50 Stunden meiner knappen Lebenszeit habe ich mit diesem Spiel verplempert. Warum?
Weil – so meine These – Computer-Spiele die Schnittstelle bieten zwischen Buch und Film. Ist das Buch für den Rezepienten das forderndste Medium (schließlich muss sie/er in der Phantasie sich selbst alles ausmalen), bieten Filme ein deutlich passiveres Vergnügen: Da werden einem nicht nur die Worte, sondern auch die Bilder vorgesetzt. Ein Computerspiel vereinigt nun, wenn es gut gemacht ist (und ja, manche sind schlecht gemacht), die Faszination dieser beiden Medien und fügt ein Drittes hinzu. Wie in einem Fantasy-Roman wird eine große Geschichte erzählt, etwa bei Neverwinter Nights eine Story um böse Drachen und Selbstverwirklichung, um Schlachten und Schätze. Und wie im Kino bekommen wir die Bilder dazu geliefert, manchmal als tatsächlich „filmische“ Zwischensequenz, manchmal als Staunen im Spiel, wenn man an einem wie echt dampfenden Vulkan vorbeiläuft oder mit der Fackel in der Hand eine Goblin-Höhle ausleuchtet. In vielen Fällen wird die Geschichte auch nur über reinen Text erzählt, sei es über den knisternden Kopfhörer im Ohr (Dead Space) oder in zu findenden Tagebüchern/Tonbandaufnahmen (The Divison). Letzlich vereint ein Videospiel die Qualitäten von Kino und Buch.
Und das Sahnehäubchen dabei: selbst entscheiden, selbst zaubern, selbst kämpfen. In den besten Spielen hat man tatsächlich das Gefühl, die Hauptrolle in einem Kinofilm nicht nur zu sehen, sondern selbst zu spielen und zu erleben. In den besten Spielen schreibt man selbst mit an dem Buch, das man so gerne liest, da diese Spiele echte Entscheidungen möglich machen.
Damit – als drittes Medium einer Storybeschreibung – öffnet das PC-Game tatsächlich die Phantasie.
Man verplempert Zeit – das bleibt zugestanden. Aber man verplempert sie immerhin noch besser als vor dem Fernseher, wenn gerade nichts Gescheites läuft.
Und was ist mit dem im Titel dieses Beitrags angepriesenen Lerneffekt?
So wie jede(r) SchriftstellerIn einen Roman anders liest als ein Nichtschreibender, so wie ein Regisseur Filme unter ganz anderen Aspekten betrachtet als wir Normalos im Kino, so lässt sich auch am Computer oder an der Konsole über das Schreiben so manches lernen. Vorderhand natürlich im negativen Sinn: So lieber nicht! Da Games von der Aktion leben und notwendigerweise repetitiv sind (ich habe in Neverwinter Nights wirklich viele, viele Monster verprügelt), sind die Großzahl von Spiele-Verfilmungen von Vorneherein zum Scheitern verurteilt. Im positiven Sinne braucht man dagegen nur darauf zu achten, wann einen die Story packt: Wenn der Charakter schwierige Entscheidungen fällen muss, wenn ein Twist die Geschichte in eine andere Richtung herumreißt, wenn irgendetwas Überraschendes passiert (etwa Lelianas spontanes Lied am Lagerfeuer in Dragon Age: Origins), wenn eine zentrale Figur stirbt (Mass Effect) oder einem nur am Ende einer langen, langen Geschichte warm ums Herz wird – wie bei The Witcher 3. In einem Wort: Wann berührt mich etwas?
Ja, ich denke, da kann ich viel lernen. Auch bei Computerspielen.
Noch ein (kurzes) Wort zur Killerspiel-Thematik, weil die ja (schon wieder) von unseren dummdreisten Politikern auf den Tisch gelegt wurde: Spielen die Schuld für Handlungen zuzuweisen, ist natürlich kompletter Unfug. Gewalt, auch exzessive Gewalt gehört – man möge das gutheißen oder nicht – zur Kunst unabdingbar hinzu. Homers Ilias ist eine einzige Aneinanderreihung von Gemetzel, Blut und abgetrennten Körperteilen. Die Bibel strotzt nur so vor Mord und Totschlag. Die aufgehäuften Fernsehleichen sämtlicher Krimiserien der letzten Jahre würden unendlich hohe Berge ergeben. Und? Gab man Homer die Schuld für spätere Kriege? Wo ist der politische Aufschrei nach weniger Krimis im deutschen Fernsehen? Und man komme mir bitte nicht mit dem Argument, die (jugendlichen) Spieler würden Fiktion und Realität nicht mehr auseinanderhalten können. Denn nach wie vor ist jeder Film „realistischer“ als ein Spiel (auch wenn sich das bald ändern könnte). Und ich selbst kam als Kind nie auf die Idee, dass James Bond im Fernsehen „echt“ sei. Also, wer einen Sündenbock für Amoklauf und Terrorismus sucht, der findet ihn in der Bildungsmisere oder sozialen Missständen.
Nicht in einem Spiel.
Denn, wie schon Schiller in seiner Erziehung des Menschengeschlechts sagte: „Der Mensch ist nur ganz Mensch, wenn er spielt.“
Ach, verplempern würde ich das nicht nennen. Genauso wenig wie einfach ins Leere zu starren. Dies scheint ja ebenso verpönt wie Videospiele. Ich bin immer fasziniert von feiner Grafik. Vermutlich inspirieren mich die Bilder mehr als die Geschichten dahinter.
Im Übrigen lese ich zurzeit die Tränen der Vögel, ich bin überrascht, dass mich ein Krimi so fesselt. Ist sonst nicht so mein Beuteschema 😉 Von daher muss das Zocken erst mal warten…
Liebe Grüße!
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Dreimal Aye, Kap’tai – ich sage Dir meinen Dank 🙂 Freut mich, dass der Krimi Dir gefällt (drei Ausrufungszeichen:)!!!
Und ja, die Grafik – wie pixelig auch immer – vermag tatsächlich die Ideen von „Neuen“ Welten zu vermitteln, in denen man seine eigenen Geschichten denkt und spielt 🙂
Liebe Grüße zurück!
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Ich beantrage hiermit ein Spin Off von Karsten und der Furt bei den beiden Autoren. Echt, der Typ hats mir total angetan! Hätte noch ein paar mehr Bemerkungen und Fragen, wo darf ich die loswerden? Wenn es denn erwünscht ist … 😊
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Na klar und gerne – nur her mit den Fragen. Gleich auf die Beitragsseite (wenn’s zu spoilerig wird, lösch ich halt irgendwann zum Teil): https://einbuchwiekingsturm.wordpress.com/2016/08/13/die-traenen-der-voegel/comment-page-1/#comment-229
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Dem Geschriebenen kann ich nur in Gänze zustimmen. Tatsächlich bewogen mich Videospiele ursprünglich mit dem Schreiben zu beginnen, in einer Zeit, da mir das Lesen an sich einfach nur ein Graus war. Wenngleich sich Letzteres etwas gewandelt hat, so beziehe ich doch einen Großteil meiner Inspiration weiterhin aus Videospielen, da diese mir mit ihrer Einheit aus visuellen Effekten, Klang und aktiven Aktionsmöglichkeiten eine weit stärkere Immersion ermöglichen, als jedes Buch. Vermutlich ist dies der Grund, warum ich zum Schreiben stets die passende Hintergrundmusik benötige.
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Und das schreibt einer, dessen erstes „Leseerlebnis“ später Faust 2 war – da sage noch jemand, Computerspiele verderben den Charakter 🙂
Vielleicht wird das erste „richtige“ Gesamtkunstwerk ja sogar ein Game?
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Baldurs Gate hat mich damals zu meinen ersten Versuchen in Richtung Fantasy inspiriert 🙂 Und was Homer betrifft: Wenn man die Illias liest, ist man erstaunt über die expliziten Erläuterungen, wo überall dies und das herausspritzt, bzw. was wo abgetrennt wird.
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Wie recht Du hast mit diesen beiden großartigen Meilensteinen der Kunst: Baldurs Gate und Illias 🙂
Was ersteres angeht, so war das für mich zwar kein Anstoß zum Schreiben, aber ein Aha-Erlebnis in Richtung: Hier wird eine tolle Geschichte erzählt. Und zu letzterem: Eben. Deshalb wunderts mich ja, dass unsere Politiker noch kein Verbot gegen solche gewaltverherrlichende Literatur ausgesprochen haben …
Liebe Grüße!
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„In den besten Spielen schreibt man selbst mit an dem Buch, das man so gerne liest, da diese Spiele echte Entscheidungen möglich machen.“ Das ist eine Aussage, der ich so gänzlich zustimmen kann. Gerade in nicht-linearen und Open World-Spielen liegt ein immenses (individuelles) narratives Potential. Wir schreiben unsere eigenen Geschichten, anstatt nur zu rezipieren! Dazu auch: https://thebigwords.net/2016/11/15/story-driven-games-nein-danke-warum-games-keine-story-brauchen/
Danke, Simon!
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Bitte, bitte, freut mich, dass der Text Dir gefallen hat. Zu Deinem verlinkten Artikel schreib ich gleich noch was bei Dir 🙂
Liebe Grüße!
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