Text überarbeiten – ein Tipp vom Meister der Meister

Die Überarbeitung eines Manuskriptes ist auf gewisse Weise – so scheint mir – wichtiger als das Schreiben selbst. Denn erst mit dieser Heckenschere aus Kürzungen, Austauschen von Dopplungen, Plotstraffung oder einfach der Eliminierung von Fehlern wird aus einem Kraut-und-Rüben-Gewächs eine herrlich blühende Pflanze.

Einer meiner liebsten Ratschläge in dieser Hinsicht stammt direkt vom großen Meister: Laut Eckermann ließ der 81-jährige Goethe im Februar 1831 das Manuskript zu seinem Faust II binden,

“… damit es mir als eine sinnliche Masse vor Augen sei. Die Stelle des fehlenden vierten Aktes habe ich mit weißem Papier ausgefüllt, und es ist keine Frage, daß das Fertige anlocket und reizet, um das zu vollenden, was noch zu tun sei. Es liegt in solchen sinnlichen Dingen mehr als man denkt, und man muß dem Geistigen mit allerlei Künsten zu Hülfe kommen.”

Ich kann nur sagen: Dieser Trick funktioniert hervorragend. Wenn ich ein Manuskript fertig habe, lasse ich es eine Weile in der Schublade im Dunkeln, bis ich es wieder heraushole und zusammenhefte. Dann schreibe ich, noch einen Schritt weiter als Goethe gehend, den Namen eines von mir geschätzten Autors vorne drauf (je nachdem wer gerade passt – nicht immer steht da „Stephen King“). Anschließend lese ich das Manuskript so, als hätte ein anderer meinen Roman geschrieben. Denn: Es liegt in solchen sinnlichen Dingen mehr als man denkt, und man muß dem Geistigen mit allerlei Künsten zu Hülfe kommen …

Goethe_(Stieler_1828)
Joseph Karl Stieler: Goethe im 80. Jahr, München, Neue Pinakothek. Quelle: Wikipedia (G.Meiners)
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15 Gedanken zu “Text überarbeiten – ein Tipp vom Meister der Meister

      1. Ist im Grunde auch besser…..Beim Schreiben am Computer verlernt man in großen Zusammenhängen zu denken weil alles sofort geändert werden kann.

        Ich nehme deinen Beitrag als Anstoß mal wieder mit Stift und Papier in einem Café zu schreiben….

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  1. Die Überarbeitung empfinde ich als eine fürchterlich ermüdende, wenngleich notwendige Tätigkeit. Man fühlt sich an den Abwasch nach dem Festmahl erinnert. Aufgrund eigener Tendenzen, beim Verfassen des Rohtextes sehr schnell zu tippen und durch die gleichzeitige Bearbeitung unterschiedlicher Gedanken abstruseste Schreibfehler zu fabrizieren, beansprucht diese Tätigkeit leider sehr viel mehr Zeit, als mir lieb ist.
    Nach Fertigstellung möchte ich das beendete Werk eigentlich möglichst schnell in einem Ordner verschwinden lassen, um mich dem nächsten widmen zu können.

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    1. Ja, das kann ich nachvollziehen. Das Schreiben selbst ist, wenn’s läuft, ein herrlicher Rausch. Trotzdem ist das bei mir anders: Ich liebe das Überarbeiten, das Formen und Schmieden. Denn dadurch mache ich aus meiner herausgerutschten Kreativität (im besten Fall) wirkliche Kunst. Mir macht das Spaß, einen Satz schöner zu machen oder zu merken, dass eine Metapher zu dämlich, oder dass eine Passage zu lang. Aber das ist glaube ich, Typsache. Manch anderer, wie Du etwa, will seine neue Geschichte erzählen und sich nicht mit der alten aufhalten. Mein Vorschlag wäre: Versuche, die durchs Bearbeiten sich entwickelnde Schönheit der Worte stärker zu erleben. Und zu genießen 🙂

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  2. Laut und mit starker Betonung vorlesen. Hilft mir fast immer, mache ich leider viel zu selten – aber wenn ich es tue, fallen seltsame Formulierungen auf, wie ein Schlag ins Gesicht.

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