Ich mag die Klassiker.
Heinrich von Kleists Essay „Über das Marionettentheater“ gehört zu den schönsten Texten deutscher Sprache. In Goethes Aufsatz (um auch bei ihm einen Sachtext zu benennen) „Über den Granit“ findet man wunderbare Sätze wie diesen: „So einsam, sage ich zu mir selber, indem ich diesen ganz nackten Gipfel hinabsehe und kaum in der Ferne am Fuße ein geringwachsendes Moos erblicke, so einsam, sage ich, wird es dem Menschen zumute, der nur den ältsten, ersten, tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele eröffnen will.“
Ja, ich mag die Klassiker. So nimmt’s kaum wunder, dass das für mich wichtigste Zitat zum Thema Schreiben einer Feder, nicht etwa einer Schreibmaschine oder gar einem PC entstammt:
„Wer nachlässig schreibt legt dadurch zunächst das Bekenntniß ab, daß er selbst seinen Gedanken keinen großen Werth beilegt. Denn nur aus der Ueberzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit unsrer Gedanken entspringt die Begeisterung, welche erfordert ist, um mit unermüdlicher Ausdauer überall auf den deutlichsten, schönsten und kräftigsten Ausdruck derselben bedacht zu seyn; – wie man nur an Heiligthümer, oder unschätzbare Kunstwerke, silberne oder goldene Behältnisse wendet.“
Was sagt, nein, was schreit uns Arthur Schopenhauer (1788-1860) hier entgegen: ACHTET AUF EURE WORTE! Schreibt klar und einfach, deutlich und treffend – kein selbstverliebtes Geschwurbel. Das gilt für moderne Theorien der Geisteswissenschaft oder Philosophie (ja, dich meine ich, Sein-und-Zeit-Heidegger!), aber mindestens ebenso für Belletrisitk, für Romane, Kurzgeschichten und Erzählungen. Ich habe das Gefühl, dass im Zuge der irrsinnigen Publikationszahlen zwar Überarbeitung und Korrektur des Textes betrieben, aber letztlich auf Plotstrukturen, Charakterentwicklung, eben auf die Story fokussiert wird. Klar, überflüssige Adjektive werden rausgestrichen, Wortwiederholungen eleminiert. Aber einen Satz ändern, nur weil er nicht wirklich gut klingt, weil er nicht vollkommen verdeutlicht, was ich darstellen will? Wozu. Merkt doch eh niemand.
Ich finde, Schopenhauer hat Recht: Wir schreiben nachlässig. Und bringen unseren Text damit selbst in Misskredit. Mancher könnte jetzt einwenden: „Reg‘ dich ab – ich schreib‘ doch nur Liebesromane oder Krimis, Horror oder Fantasy. Du selbst schreibst gerade Ein-Buch-wie-Kings-Turm. Da geht’s doch nicht um große Literatur“.
Doch. Geht es. Vielleicht nicht um große, aber um gute Literatur. Und die kann nur wirklich gut sein, wenn die Sprache webt und wirkt. Stephen King, um bei diesem Beispiel zu bleiben, ist ein Meister der Sprache: Mit wenigen Sätzen schreibt er einen Charakter lebendig, manche seiner Metaphern bringen mich zum staunen („Ich zog dem PC-Bildschirm seine Henkersmütze aus Plastik über“). Für mich ist King so etwas wie der Enkel Hemingways. Und der zumindest gilt als richtiger Literat. Die Frage nach der Sprache ist eine der Qualität, nicht der Gattungen. Nehmen wir Mary Shellys „Frankenstein“, Beginn und gleichzeitig ein Höhepunkt des Horror-Genres: Das ist einerseits nur ein Gruselroman (Unterhaltung), andererseits ein großartiges Stück Weltliteratur, das Sinn und Sein des Menschen thematisiert. Oder Goethes „Werther“ – was ist das mehr als ein unterhaltsamer Liebesroman, den man heute verkaufen würde mit Nicholas-Sparks-Cover auf dem Deckel? Also nein: Keine Frage der Gattung.
Und selbst wer einfach nur (s)eine Geschichte erzählen will, dem es einfach nur um die Story und den Inhalt geht – ohne Sprache kommt er nicht weit. Schreibt er/sie denn nicht, wie Schopenhauer fragt, „ … aus der Überzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit“ der eigenen Gedanken heraus? Schreibt er/sie nicht mit Begeisterung? Einer Begeisterung, die „ … mit unermüdlicher Ausdauer den deutlichsten, schönsten und kräftigsten Ausdruck“ unserer Sprache sucht?

Arthur Schopenhauer wetterte gerne und er wetterte laut. Schimpfend, misanthropisch, pessimistisch. Und meist, wie ich finde, sehr klug. Das hier vorgestellte Zitat stammt aus dem 23. Kapitel seiner Text-Sammlung „Parerga und Paralipomena“ von 1851. Wer dieses Kapitel, betitelt mit „Ueber Schriftstellerei und Stil“ nachlesen möchte, kann dies beispielsweise hier tun.
Für mich jedenfalls ist sein Aufruf, mit „unermüdlicher Ausdauer den deutlichsten, schönsten und kräftigsten Ausdruck“ zu finden, ein wichtiges Credo geworden. Denn egal ob meine Geschichten hohe oder niedere Literatur sind – sie sollen „Heiligthümer“ sein, die vom Silber und Gold der Sprache umhüllt werden.

Zum Abschluss (und damit ich nicht in Pathetik versinke) Schopenhauer noch einmal, diesmal aber gezeichnet und von hinten. Skizziert von einem ganz anders gelagerten, doch sehr viel positiver gestimmten Philosophen: Wilhelm Busch. Der ja auch einige schöne Reime zum Thema Schreiben beisteuerte. Mein Lieblingszitat von ihm:
„Gedanken sind nicht stets parat,
man schreibt auch wenn man keine hat.“
Meine Meinung! – Nur in wohlgesetzteren Wort.
Mit herzlichem Gruß,
Irja.
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