In der Rubrik „Schreiben lernen“ gebe ich all jenen praktische Tipps, denen die Verschriftlichung einer Geschichte – welcher auch immer – am Herzen liegt. Das beginnt bei ganz simplen Hinweisen wie diesem hier, soll aber auch thematisch Schreibtechniken beinhalten, wie hier und heute eine folgt: Gedanken zum so großen wie faszinierenden Bereich „Spannung“. Woher kommt sie, wie wird sie erzeugt? Gibt es unterschiedliche Arten? Was ist eigentlich spannend und was nicht?
Ausgefeilte Charaktere, kritische Inhalte und Stilistik aus dem Olymp – alles geschenkt, wenn ich einen Pageturner nehme und nur eines möchte: Spannung.
Auf dem untersten Level ist die Erzeugung dieses speziellen Gefühls ziemlich einfach, fast primitiv: So wie wir (warum auch immer) lachen, wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht, so gibt es etliche simple Tricks, die automatisch das Gefühl von Spannung hervorrufen:
1. Der begrenzte Ort. Immer wieder gerne genutzt: Je abgeschlossener ein Setting, desto spannender die Situtation – können die Helden doch nicht ohne weiteres flüchten. Ob ein Zug bei Mord im Orientexpress, eine einsame Insel bei Robinson Cruso, ob ein U-Boot in der Tiefsee bei Das Boot oder eingeschneite Gruselhäuser wie in Shining: Das abgegrenzte Terrain führt automatisch zu Spannung. Im folgenden Beispielschnipsel aus der Kinowelt ist der abgeschlossene Raum ein auf die Spitze, beziehungsweise auf die Höhe getriebener:
Im Unterschied zur viel diskutierten Suspense – also einem über längere Zeit anhaltenden Spannungspogen – ist dieser plötzliche Angriff auf 007 (ebenso wie der herrliche Abgang des Herrn Beißer) ein Beispiel für surprise (die „Überraschung“ steht dem Bösewicht ja herrlich direkt ins Gesicht geschrieben).
2. Die begrenzte Zeit. Auch dieses Modell funktioniert praktisch von alleine. Passend zum Beispiel eben könnte man auch hier wieder James Bond anführen: kaum ein früher 007-Streifen, in dem Mister Geheimagent nicht eine Bombe (eigentlich müsste er ja James Bomb heißen …) entschärfen müsste. Die allerdings immer – denn nur so gibt’s den besonderen Thrill – mit einem Zeitzünder versehen ist. Der seinerseits freilich erst punktgenau eine Sekunde vor Ablauf gestoppt werden kann – et voilà: die Spannung, in diesem Fall als Suspense serviert. Das klappt natürlich nicht nur im Thriller-Genre, auch die Science-Fiction beispielsweise bediente sich schon früh dieses Kunstgriffs – hier die Schlussszene aus dem wegweisenden Andromeda – tödlicher Staub aus dem All von 1971:
Unzählige solcher Szenen haben wir schon gesehen oder gelesen – und trotzdem funktionieren sie immer noch. Erstaunlich eigentlich.
3. Der Kampf auf Leben um Tod. Beide Film-Beispiele nutzen über die beschriebenen Techniken hinaus zusätzlich die Hauptquelle das Grundmotiv von Spannung überhaupt: den Kampf ums Überleben. Das mag per youtube – nach Krimi und Science-Fiction – durch das Horror-Genre illustriert werden. Vielleicht einer der besten Dracula-Schinken mit Christopher Lee und Peter Cushing, ganz in „Technicolor“ und aus dem Jahr 1958, endet folgendermaßen:
4. Der Einbruch des Unbekannten. Auch diese Technik funktioniert unfehlbar, fordert aber vom Autor/Filmemacher mehr Mühe im Vorfeld. Denn will man den Einbruch des Über-Natürlichen (in welcher Form auch immer) zeigen, muss erst einige Zeit auf die Beschreibung des „Normalen“ verwendet werden. Großmeister dieser Technik ist sicherlich Stephen King, aber auch viele klassische Fantasy-Romane sind nach diesem Spannungs-Muster aufgebaut:
Erst durch den Einbruch von Zauber und Magie in den schönden Harry-Potter-Alltag wächst die Spannung. Und so wie der Unglauben in Mister Potters Augen funkelt, so fragen auch wir uns: Wow, was wird passieren?
Natürlich muss es nicht immer Fantasy sein. Ein radikaler Wechsel der gewohnten Umgebung – beispielsweise in einem meiner absoluten Lieblingsfilme: Jenseits von Afrika – führt ebenso zu Spannug wie der unverhoffte Wandel des sozialen Status: Andreas Eschbachs Eine Billionen Dollar funktioniert da mit demselben Trick wie Der kleine Lord. Als besonders gelungenes Beispiel mit einer wahrlich rasanten Spannungskurve empfand ich folgenden Film:
The Game mit einem wie stets herrlich zynischen Michael Douglas zeigt wirklich sehr schön: Zusammen mit dem Unerwarteten, Mystischen oder einfach nur Unerklärlichen bricht sofort und automatisch Spannung in den Alltag hinein – und damit in die Geschichte.
Diese vier Grundtechniken und -motive mögen genügen – sie funktionieren wie Schalter: So wie Kinder Hunde streicheln wollen, so bekommen wir durch diese Settings ein Gefühl von Spannung. Aber ein wichtiges Element fehlt mir dann doch noch:
5. Das Erreichen des Ziels. Denn Spannung gibt es ja nicht nur im Genre Thriller und Co. Auch jeder andere Film, jeder andere Roman, so er denn gut ist, lässt uns „vor Spannung“ mitfiebern: Wird die Figur ihr Ziel erreichen, ihre Selbstverwirklichung – oder gar – ihre Große Liebe?
Ja, auch das ist hochgradig spannend: Finden sie sich und bleiben zusammen? Wirklich?
Und wie setzt man Spannung im Schreiben um?
Auch da gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten. Einfach, beliebt und wirkungsvoll ist etwa der Cliffhanger: Im spannendsten Moment wechselt der Autor gemeinerweise die Szene und macht bei einem anderen Erzählstrang weiter. Das funktioniert bei einem Krimi genauso gut wie bei einem Liebesroman.
Wichtig ist auch die gezielte Verteilung von Information: Der Autor zeigt dem Leser etwa den Mörder, wie er den Helden des Buches, sein nächstes Opfer, observiert. Natürlich weiß der Protagonist nichts davon – wir Leser aber schon. Eine gezielt verwendete Information, die die Spannung gehörig steigert. Das Zurückhalten von Information führt interessanterweise zum gleichen Effekt, oder zumindest zu dem, was Hitchcock Suspense nannte: eine schwebende, unheimliche Ungewissheit (also eine etwas andere Art der Suspense-Definition weiter oben). Geschichten wie The Game leben genau davon: ein, zwei Informationen erst ganz zum Schluss preiszugeben.
Wichtig für den Aufbau von Spannung sind außerdem die – so oft herbeizitierten, so schwer zu machenden – unerwarteten Wendungen. Wir alle wollen überrascht werden und nicht vorhersehbare Entwicklungen nachlesen.
Und schließlich ist Spannung auch rein über die Sprache möglich: Über den Wechsel unterschiedlicher Stilmittel. Eine Geschichte bekommt wesentlich mehr Tempo und Spannung, wenn sich nicht nur Action-Szenen und ruhige Kuss-Nummern abwechseln, sondern auch Dialog und Beschreibung, kurze Sätze und lange – wenn ein Rhythmus in der Sprache entsteht, der sich dem Inhalt anpasst (je actionreicher, desto schneller, abgehackter, hektischer).
Zum Schluss noch ein Wort: Es gibt einfache Gewürze, die eben nach Spannung schmecken – von ihnen habe ich hier ein paar aus der Schreib-Küche geholt und vorgestellt. Wirklich, also wirklich wirklich „spannend“ wird es in Literatur und Kunst aber erst dann, wenn Neugier und Suspense aus dem Innern des Charakters her erwächst. Aus dem Ziel, aus der Sehnsucht eines Forrest Gump etwa, als dem Verlangen, das jede Figur in sich trägt und das weder mit James Bond noch mit Star Trek etwas zu tun haben muss.
Die nächste Stufe der Spannung sozusagen …
Ein Gedanke zu “Spannung: der Motor aller Geschichten”